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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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elektrischer Geräte, die Anordnung der Leiche und die planvolle Art der Verletzungen legten die Vermutung nahe, dass sie es hier nicht mit einer reinen Gewalttat zu tun hatten. Und irgendwie wurde er den Verdacht nicht los, dass die Verstümmelungen nur ein Täuschungsmanöver waren und das Motiv des Mörders ganz woanders lag.
    Müde rieb er sich die Augen und schaute auf die Uhr. Nach dem langen Arbeitstag war es höchste Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Das abgeteilte Zimmer seines Cousins hatte nur Platz geboten für Michails Bett und Koroljows Matratze auf dem Boden; die Kleider hatten sie an Wandnägel gehängt. Nachts hatten sie zugehört, wie sich ihre Nachbarn mit gedämpfter Simme zankten oder noch leiser miteinander schliefen, während sie selbst flüsternd redeten und eine Flasche hin- und herreichten. In der neuen Wohnung hatte er weit mehr Platz als in der für den Bezirk Moskau gültigen Norm vorgesehen und einen Grad an Privatsphäre, wie man ihn sonst nur aus Filmen kannte, genauer gesagt aus ausländischen Filmen. Er hatte fast das Gefühl, dass er sich kneifen musste, um es glauben zu können.
    Schenja hätte das bestimmt gefallen. Ungefähr ein Jahr nach der Scheidung hatte seine Exfrau ihr altes Zimmer im Stadtteil Presnenski aufgegeben und war zurück zu ihren Verwandten nach Sagorsk gezogen. Moskau hatte ihr nie besonders gefallen, doch als eine der ersten in der Sowjetunion ausgebildeten Ingenieurinnen hatte ihr die Hauptstadt Aufstiegschancen und die Möglichkeit geboten, den historischen Wandel hautnah mitzuerleben. Sie war ein Aushängeschild der revolutionären Gesellschaft, und warum sie sich ausgerechnet Koroljow ausgesucht hatte, obwohl die Hälfte der männlichen Einwohner Moskaus hinter ihr her war, war ihm von Anfang an und spätestens nach drei Jahren Ehe auch ihr ein Rätsel. Auch seine Tätigkeit als Kriminalbeamter war nicht unbedingt hilfreich gewesen, und sie fing an, immer länger zu arbeiten. Manchmal begegneten sie sich im Bett wie Fremde, und bei einem dieser Zusammentreffen zeugten sie Juri. Der Gedanke an seinen Sohn machte ihn traurig, denn er hatte ihn schon seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Inzwischen hatte sie einen Neuen, einen Doktor, und das nagte an ihm. Würde Juri den Fremden schon bald »Papa« nennen? Konnte er sich bei ihrer nächsten Zusammenkunft überhaupt noch an ihn erinnern?
    Koroljow brachte die Blätter des Berichts in die richtige Reihenfolge und forderte in einer Notiz vier Kopien an. Zögernd kramte er die Mütze aus der untersten Schreibtischschublade. Sagorsk war einfach verdammt weit weg. Trotzdem nahm er sich vor, im Frühjahr auf jeden Fall hinzufahren.
    Auf dem Weg hinaus klopfte er im ersten Stock an das Holzfenster, das die ausschließlich weiblichen Schreibkräfte schützte wie einen osmanischen Harem. Kurz darauf glitt die Füllung zurück, und ein müdes Gesicht spähte heraus, an das er sich nicht erinnern konnte.
    Nachdem sie seine Epauletten bemerkt hatte, wurde ihre Haltung ein wenig steifer. »Guten Abend, Genosse Hauptmann. Etwas Dringendes?«
    »Ein Bericht für den General. Er braucht ihn morgen früh. Vier Kopien insgesamt.«
    »Vier Kopien.« Die Frau strich sich das grau durchsetzte braune Haar aus den Augen, als sie die Papiere betrachtete. Eine fast sinnliche Geste. »Hauptmann Koroljow, das sind Sie?«
    »Ja.«
    »Um acht Uhr früh?«
    »Vielen Dank.« Er nahm die Ahnung eines Lächelns auf ihren Lippen wahr. »Eins noch. Das ist keine Sache für eine unerfahrene Schreibkraft. Es geht um den Mord an einer jungen Frau, ziemlich unerfreulich. Am besten, Sie geben es einer Kollegin, die schon länger hier ist.«
    Nach einem kurzen Blick auf die erste Seite zog sie die Augenbrauen hoch und nickte ernst. Dann schob sie lächelnd das Fenster zu.
    Zu Fuß machte er sich auf den Heimweg und schlug ein flottes Tempo an. Wie üblich warteten in den Hauptstraßen Schlangen vor den Nachtläden. Gruppen müder, von oben bis unten schmutzbedeckter Arbeiter trotteten zu ihren Wohnheimen und kamen an ihren kaum gepflegteren Kollegen vorbei, die sie ablösten. Er bemerkte Studenten, die die Kragen ihrer fadenscheinigen Mäntel zusammenrafften, und trotz der Nähe zum Kreml auch Bettler mit den toten Augen der Hungernden. In letzter Zeit hatte ihre Zahl zugenommen, obwohl Landstreicherei mit bis zu fünf Jahren Arbeitslager bestraft wurde. Trotz der vielen Menschen herrschte kein großer

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