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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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durch den Raum.
    Die Ärztin ließ den Kopf auf den Tisch zurücksinken, und der Kiefer sackte nach unten. »Ist Ihnen an den Zähnen was aufgefallen, Genosse?« Tschestnowa drehte den blutigen Mund zu ihm.
    »Anscheinend hat er einige zertrümmert.« Koroljow konzentrierte sich. »Und sie sind ungewöhnlich weiß.«
    »Allerdings, und das allein ist schon bemerkenswert. Aber haben Sie die Füllungen gesehen? Amalgam. Nun, Genosse, das Gesundheitsministerium hat unseren Zahnärzten schon vor mindestens zehn Jahren die Benutzung von Amalgamfüllungen untersagt. Und so alt sind diese Füllungen garantiert noch nicht.«
    »Sie wurden also außerhalb der Sowjetunion gemacht?«
    »Vielleicht ist sie Ausländerin ...«
    »I-ihre Sachen.« Gerginow zupfte an den Kleidern der Toten. »Ko-kommen mir ausländisch vor. Keine Etike-ketten, aber es fühlt sich an wie ka-kapitalistischer St-stoff. Vielleicht war sie ja eine Sa-saboteurin. Ha-hat sich mit ihren Ko-komplizen zerstritten, und dann war's um sie geschehen.«
    Koroljow ließ ein Stück des Rocks durch seine Finger gleiten. Es war unglaublich weich. »Wer weiß. Vielleicht hat sie aber auch in einer Botschaft gearbeitet. Oder sie war bei einer Handelsdelegation. Und in Moskau gibt es natürlich viele Ausländer. Freiwillige, industrielle Fachkräfte, Komintern-Angestellte und so weiter. Wenn sie als vermisst gemeldet wird, können wir sie vielleicht anhand von Zahnunterlagen identifizieren. Wir kümmern uns darum. Danke, eine ausgezeichnete Beobachtung.«
    Dr. Tschestnowa lächelte stolz, wenn auch vielleicht ein wenig schief. Koroljow fragte sich, wie viel von dem medizinischen Alkohol die beiden während seiner kurzen Abwesenheit getrunken hatten.
    »Ich tue immer meine Pflicht.« Sie nahm eine Säge vom Bestecktablett neben dem Operationstisch. »Und jetzt nehme ich mir das Gehirn vor.«
    Koroljow spürte, wie seine Kiefer mahlten. Nach einem schnellen Blick auf seine Uhr verabschiedete er sich mit einem knappen Nicken. »Bitte rufen Sie mich an, wenn sich was Neues ergibt. Ich muss zurück in die Petrowka-Straße.« Er zog es vor, das gedämpfte Kichern zu ignorieren, das ihm aus dem Zimmer folgte.
     

5
    Erst nach neun Uhr abends hatte Koroljow seine Notizen über die Autopsie und den Tatort zu einem Bericht für General Popow zusammengefasst. Während sich aus der Obduktion einige interessante Hinweise ergeben hatten, wie etwa die Möglichkeit, dass es sich bei dem Opfer um eine Ausländerin handelte, hatte die forensische Untersuchung, wie von Semjonow vorhergesagt, so gut wie nichts erbracht. Der ganze Raum war mit Fingerabdrücken übersät, doch die blutigen Spuren waren alle entweder von Handschuhen, wahrscheinlich aus Leder, oder von der Toten hinterlassen worden. Für den nächsten Tag war geplant, die in der Kirche verkehrenden Komsomol-Mitglieder zu überprüfen, aber der Leiter der Spurensicherung hielt es für wenig wahrscheinlich, dass sie dabei auf etwas Brauchbares stoßen würden, zumal sie allein in der Sakristei mehrere Hundert Fingerabdrücke gefunden hatten. Leise vor sich hin fluchend, schrieb Koroljow zu Ende, dann machte er sich daran, das Ganze noch einmal durchzulesen.
    Er ließ sich Zeit und studierte die vorhandenen Fakten von allen Seiten. Während der Lektüre formte sich in seinem Kopf bereits ein vages Bild des Mörders und des Opfers. Nichts Sicheres, nur Ahnungen und Gefühle, aber er war schon lang genug Kriminalermittler, um zu wissen, dass man seine Intuition nie ignorieren durfte. Obwohl er es nicht genau greifen konnte, hatte er den Eindruck, dass das Verbrechen Zeichen eines durchaus überlegten Vorgehens aufwies. Beispielsweise ließ das Fehlen von forensischen Hinweisen auf eine Umsicht und Distanziertheit schließen, die ihm bei gewalttätigen Sexualmorden noch nie begegnet war. Meistens handelte ein entsprechender Täter im Affekt und daher auch unbedacht. Möglicherweise versuchte er später, seine Spuren zu verwischen, doch dann befand er sich bereits in einem Zustand von Euphorie, Angst oder Schock, was seine Bemühungen beeinträchtigte. Bei diesem Mann hingegen schien alles anders. Sicher hatte er ein Blutbad mit äußerst unerfreulichen Einzelheiten angerichtet, doch er hatte dabei nichts Brauchbares hinterlassen. Er hatte sich keinerlei Blöße gegeben, und auch dass nichts auf eine Vergewaltigung deutete, schien Koroljows Vermutung zu bestätigen. Das Opfer war gefoltert worden, keine Frage, aber die Verwendung

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