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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Stärke des Schneebelags den genauen Zeitpunkt herausfinden können. Immerhin, die Fotografien helfen uns vielleicht weiter. Wann hat es gestern angefangen zu schneien?«
    Semjonow machte große Augen. »Deduktion! Ich verstehe, wie Sherlock Holmes. Ausgezeichnet, Alexei Dimitrijewitsch, ausgezeichnet.«
    Koroljow hob die Hand, um dem Frechdachs einen Klaps zu versetzen.
    »Nein, ich meine es ernst.« Halb beleidigt zückte Semjonow sein Notizbuch. »Also, der Schnee. Nach Mitternacht, ganz sicher. Ich war mit Freunden unterwegs und bin erst um diese Zeit nach Hause gekommen. Es war klirrend kalt, doch Schnee war noch keiner gefallen. Aber ich erkundige mich bei der Wetterstation. Auch danach, wann es wieder aufgehört hat zu schneien, richtig?«
    Koroljow nickte und wandte sich um, um den Platzwart zu begrüßen, der sich mit stapfenden Filzstiefeln rasch näherte und die Mütze zwischen den Handschuhen hin und her drehte. Starostin folgte ihm lächelnd.
    »Ich hab es ihnen gleich gesagt, den ersten Beamten, die Fußspuren, passt auf die Fußspuren auf, aber sie haben nicht auf mich gehört. Ich hab darauf geachtet, dass niemand drauftritt, auch meine Jungs nicht. Schauen Sie, da drüben.« Der Platzwart deutete auf undeutliche Abdrücke, die von der Nordostecke des Stadions zu ihnen führten. Dort lag der Eingang, der am weitesten von der Hauptstraße entfernt war.
    »Schrecklich, schrecklich, diese Geschichte. Ich war schon früh hier, um das Feld für das Reservespiel morgen bereitzumachen, und zuerst schaue ich mich immer genau um, falls in der Nacht irgendwas los war. Im Sommer treiben die Burschen aus der Gegend hier allen möglichen Unfug, und das ist schlimm genug. Ich war ja auch mal jung, aber können sie sich nicht einen anderen Ort suchen? Nein, können sie nicht, und ich bin derjenige, der die kleinen Rabauken den ganzen Sommer lang rausjagen muss. Und letzten März haben wir hinter dem anderen Tor zwei Erfrorene gefunden, die zu viel gesoffen hatten. So.« Sein Gesicht und Körper versteiften sich zu einer Darstellung von Leichenstarre. »Wirklich schockierend. Die Augen waren weit offen, wie Fische im Aquarium. Also habe ich die Gestalt im Schnee natürlich für einen Betrunkenen gehalten. Geht das schon wieder los, dachte ich. Aber nein, es war noch viel schlimmer.«
    Erst die Erinnerung an den Toten veranlasste Sergei Timofejewitsch, seinen Monolog zu beenden. In seinen Augen glitzerten Tränen, die er sich mit einem fadenscheinigen Handschuh abwischte.
    »Ein furchtbarer Anblick, Genossen. So was sollte keinem passieren.«
    Koroljow nutzte die Gelegenheit, um den Mann zu unterbrechen. »Sergei Timofejewitsch, ich bin Hauptmann Koroljow, und das ist der Zweite Leutnant Semjonow. Wir möchten Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
    »Nur zu. Und ich kenne Sie, Alexei Dimitrijewitsch, auch wenn Sie sich nicht mehr an mich erinnern. Zu seiner Zeit ein ausgezeichneter Mittelläufer, Leutnant Semjonow. Die Dampfwalze - so haben wir ihn immer genannt. Nach einem Tackling von Koroljow ist so schnell keiner wieder aufgestanden. Das kann ich bestätigen. Aber immer fair, immer fair.«
    Koroljow musterte den Platzwart genauer und erkannte ein vom Alter und Alkohol verändertes Gesicht. Nur die Augen waren gleich geblieben. »Akunin, der Schiedsrichter?«
    »Ja, ja, das bin ich.« Der Platzwart war begeistert. »Oder vielmehr war ich. Schiedsrichter Akunin. Und ich hab was von meiner Sache verstanden. Aber dann ... na ja, jetzt bin ich dank des Genossen Starostin der Platzwart Sergei Timofejewitsch. Dadurch bleibe ich am Ball, und die Arbeit macht mir auch Spaß. Aber genug, was wollten Sie von mir wissen?«
    Aus dem Augenwinkel bemerkte Koroljow ein Grinsen auf Semjonows Gesicht und folgerte, dass sein alter Spitzname in der Petrowka-Straße schon bald die Runde machen würde.
    Er konzentrierte sich auf Akunin. »Schön, Sie wieder mal zu sehen, Sergei Timofejewitsch. Wir Spieler haben immer viel von Ihnen als Schiedsrichter gehalten.«
    »Stimmt, ich war nicht schlecht.« Akunin strahlte vor Freude. »Also, wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Zuerst könnten Sie uns zeigen, wie die Leiche dagelegen hat.«
    »Natürlich, Genosse Hauptmann. Er lag flach auf dem Rücken, die Hände zur Seite gestreckt. So ungefähr. Das Gesicht ... Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Seine Augen waren so. Eine volle Minute lang habe ich es nicht fertiggebracht, den Kopf abzuwenden, so haben sie mich angestarrt.«
    Der

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