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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Export gestohlener Wertgegenstände mit? Was hatte der Täter für ein Motiv, oder steckte doch ein Psychopath dahinter, der sich seine Opfer zufällig aussuchte? Nun, wenn er einen Banditen ermordet hatte, musste er wirklich verrückt sein - genauso gut hätte man seinen Kopf in den Rachen eines Löwen stecken und ihm gleichzeitig in die Hoden treten können. Nein. So durchgedreht war niemand.
    Wenn er nur alles zu Papier hätte bringen können, hätte er sich vielleicht endlich einen Überblick über diesen wirren Wust an Informationen verschafft, der ihm Kopfschmerzen bereitete. Aber für so einen Geheimnisbruch würde ihm Gregorin den Prozess machen lassen. Er stöhnte auf.
    »Alles in Ordnung, Alexei Dimitrijewitsch?«
    »Mir geht's gut, nur ein bisschen Kopfweh.« Koroljow fragte sich, ob er den Genickschuss spüren würde. Vielleicht war alles vorbei, ehe man etwas wahrnahm. Er schluckte. »Und Magenschmerzen.«
    »Ich fühle mich auch nicht besonders. Der arme Kerl mit seinem Sie wissen schon was. Normalerweise würde ich sagen, nicht schade um so einen Burschen, aber so was wünscht man doch niemandem.«
    »Nein.« Und noch eine Sorge nagte an Koroljow. Was, wenn er dem Mörder in die Hände fiel? Wenn man sich vor Augen führte, wie er mit seinen bisherigen Opfern umgesprungen war, war es nicht wahrscheinlich, dass er einen Schnüffler, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte, mit Samthandschuhen anfasste. Dagegen wirkte eine Kugel ins Genick fast schon verlockend.
    »Und ...« Semjonow stockte und stieß einen hörbaren Seufzer aus, der aus tiefstem Herzen zu kommen schien.
    Koroljow wandte sich ihm zu. »Was ist denn los?«
    »Gar nichts. Bloß ... müssen wir bei diesem Fall wirklich mit Larinin zusammenarbeiten? Ich weiß, er genießt großes Ansehen in der Partei, trotzdem mag ich ihn irgendwie nicht besonders. Und was ist das eigentlich mit dieser Untersuchung gegen General Popow? Er hat den Orden des Roten Sterns und den Leninorden erhalten! Er steht so treu zur Partei wie Genosse Stalin persönlich!«
    Eine Weile herrschte Schweigen im Wagen, als beide über Semjonows Worte nachdachten.
    Schließlich wurde es von Koroljow gebrochen. »Vielleicht...«
    »Ja, ich verstehe. Ein Vergleich des Generals mit Genosse Stalin ...«
    »Solange die Untersuchung gegen ihn läuft...«
    »Sie haben Recht.« Semjonow war rot im Gesicht.
    Für den Jungen war es sicher nicht leicht, überlegte Koroljow. Ein guter Kommunist zu sein war in dieser Zeit, als müsste man an einen willkürlichen Gott glauben, der an einem Tag verlangte, dass man Weiß für Weiß und am nächsten für Schwarz hielt. Einen Sinn hatte das Ganze nur, wenn man sich erinnerte, dass das Land von Feinden umzingelt war, denen schon seine bloße Existenz eine Höllenangst einjagte. Angesichts derart unversöhnlicher Gegner ergriff die Partei bisweilen Maßnahmen, die mit ihrer langfristigen historischen Bestimmung unvereinbar schienen. Für normale Arbeiter wie Koroljow und Semjonow konnte das verwirrend sein, aber jedermann wusste, dass die Partei um jeden Preis voranschreiten musste. Koroljow war vollkommen überzeugt von der Parteilinie, auch wenn dafür ab und zu ein Glaubenssprung erforderlich war. Schließlich war die Einigkeit oft genauso wichtig wie die Wahrheit - eine der wenigen lohnenden Erkenntnisse, die man im Schützengraben gewann.
    Weiter vorn bemerkte er eine kleine Schar von Menschen vor einem vertrauten, schneebedeckten Stand, der nur mit dem - noch dazu falsch geschriebenen - Wort »Imbiss« warb. Aber auch »Imbis« würde einen noch nicht ganz ausgewachsenen Burschen wie Semjonow aufmuntern, zumal der Budeninhaber ein alter Bekannter Koroljows war. Immer wenn er hier vorbeikam, nahm er voller Erleichterung zur Kenntnis, dass die Bude weder der Umgestaltung der Stadt noch den fortgesetzten Anstrengungen zur Eindämmung privater Unternehmen zum Opfer gefallen war. Die Blintschiki, in denen manchmal sogar Fleisch war, gehörten zu den besten von ganz Moskau.
    »Ich bin am Verhungern, Wanja. Halten wir kurz an, ich hab den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen.«
    Koroljow stieg aus und nickte dem Inhaber zu. »Wie geht es immer, Boris Nikolajewitsch? Zweimal, bitte.«
    Mehrere Wartende starrten ihn wütend an, zogen aber beim Anblick des Wagens und des wartenden Semjonow die richtigen Schlüsse. Zwei schoben sogar den Kragen hoch und verschwanden. Koroljow tat, als hätte er nichts bemerkt - es war nicht seine Aufgabe, die

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