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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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beschließen.« Mit schiefem Grinsen zwinkerte er Koroljow zu. Dann runzelte er die Stirn. »Achten Sie nicht auf Medwedjew. Er ist am Ende seiner Kräfte. Sensible Dichter sind nicht geschaffen für Fünfjahrespläne und Säuberungen.« Er setzte das Glas an die Lippen und trank mit geschlossenen Augen.
    »Also, worum geht es? Wie kann ein bescheidener Schriftsteller der vereinten Wucht von NKWD und Petrowka-Straße behilflich sein?«
    »Ich darf Ihnen leider nicht alles sagen«, begann Koroljow.
    Babel nickte. »Das überrascht mich nicht. Auch Gregorin klang bei seinem Anruf sehr geheimnisvoll. Verraten Sie mir so wenig wie möglich, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich habe eine zweijährige Tochter und eine Frau, mit der ich noch lange glücklich sein will. Trotzdem helfe ich Ihnen natürlich gern.«
    Koroljow nickte seinerseits. »Es gab zwei Morde. Eines der Opfer war ein Bandit, das andere eine junge, in Russland geborene Amerikanerin. Außerdem war sie wohl eine orthodoxe Nonne. Es besteht sehr wahrscheinlich ein Zusammenhang zwischen den zwei Verbrechen.« Koroljow schaute Babel kurz in die Augen, dann nahm er einen Umschlag aus der Aktentasche. Er zog die Autopsiefotografien der Frau heraus.
    Babel brütete lange über den Bildern und schien jede Pore und jede Blutkruste auf ihrer Haut in sich aufzusaugen. Er drehte die Aufnahmen, um sie besser zu sehen, und als er zur letzten kam, die den Kopf des Mädchens im Profil zeigte, seufzte er. »Sie war wirklich schön. Man möchte meinen, dass er sie gehasst haben muss. Aber vielleicht auch nicht, wenn man bedenkt, wie präzise er vorgegangen ist. Die Kleider sind sorgfältig gefaltet, die Körperteile akribisch angeordnet. Ich überlege gerade. Möglicherweise war es eine Botschaft.«
    Koroljow beugte sich über das Schwarz-Weiß-Bild, das den Körper der Toten als Skulptur aus Schatten und Licht zeigte. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Das Auge, das Ohr, die Zunge -bestimmt hat er sie nicht zufällig so hingelegt.«
    »Ja, davon habe ich schon gehört, aber gesehen habe ich es noch nie. So was machen die Banditen mit einem Denunzianten oder Spitzel. Es bedeutet, dass der Tote zwar etwas aufgeschnappt hat, aber es nie verraten wird.« Babel blinzelte, wie um das Bild der Toten von seiner Netzhaut zu entfernen. »Doch die Banditen würden wohl kaum eine Kirche entweihen. Sie würden vielleicht etwas stehlen, aber so etwas wie das hier kommt nicht infrage. Zumindest nicht, solange Kolja in Moskau herrscht.«
    Auch Koroljow blinzelte jetzt, aber vor Überraschung. Natürlich hatte er schon von Graf Kolja gehört, aber Babels beiläufige Erwähnung ließ auf einen vertrauten Umgang mit einem Mann schließen, der als höchste Autorität unter den Banditen Moskaus galt. Diese Stellung erreichte man nicht durch eine Wahl, sondern durch die Herausforderung des bisherigen Inhabers. Allerdings hieß es, dass Graf Kolja nie herausgefordert wurde, und wenn doch, schlug er so schnell und gnadenlos zu, dass seine Herrschaft nicht den geringsten Kratzer davontrug. Seit sieben Jahren bemühte sich die Miliz, ihn aufzuspüren, aber er war von einer Mauer des Schweigens umgeben, und immer wenn es so schien, als wäre die Mauer durchdrungen worden, verschwand der vielversprechende Denunziant oder wurde tot aufgefunden. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass einer dieser Denunzianten genau auf diese Weise verstümmelt worden war.
    Babel tippte sich an die Nase. »Ich bin in Odessa geboren. Glauben Sie, meine Geschichten über Benja Krik sind erfunden? Den Namen habe ich zwar geändert, aber wenn Sie einen der alten Milizionäre aus Odessa fragen, wird er Ihnen bestätigen, dass es ihn gegeben hat. Der tapferste, ehrlichste Bandit, der je einer Jungfrau das Herz gebrochen hat. Nur dass er eine ganz andere Auffassung von Ehrlichkeit hatte als Sie und ich oder gar die Partei. Am Ende haben sie ihn erwischt. Eine Kugel ins Genick, wie ich hörte. Allerdings hat eine wohl nicht gereicht, um ihm den Garaus zu machen. Und seine Leute haben ihn gerächt, da können Sie sicher sein.«
    »Kennen Sie Graf Kolja?«
    Babel atmete lange aus. »Ja. Draußen auf der Pferderennbahn treffen wir uns manchmal. Eine gemeinsame Schwäche. Man erkennt ihn vielleicht nicht gleich. Aber wenn man ein wenig zu lange in seine Richtung schaut, kann es passieren, dass man plötzlich von vier kräftigen Kerlen mit blauen Fingern umringt wird. Dann ist es höchste Zeit, die Aufmerksamkeit dem nächsten Rennen

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