Russisches Requiem
zu widmen.«
»Sie kennen also Graf Kolja.« Koroljow konnte es noch immer nicht recht glauben.
»Was glauben Sie denn, warum Gregorin Sie zu mir geschickt hat? Der NKWD benutzt mich als Nachrichtenübermittler, wobei ich mich bemühe, nicht herauszufinden, worum es bei diesen Nachrichten geht. So viel kann ich Ihnen allerdings verraten. Kolja würde nie eine Kirche auf diese Weise entweihen. Er ist nicht gläubig, zumindest nicht in der Art, wie Sie es wohl sind, aber er hat einen Kodex, an den er sich halten muss wie jeder andere Bandit. Wenn so etwas auf seinen Befehl hin oder mit seiner Billigung passieren würde, wäre er nicht mehr lang die oberste Autorität von Moskau.«
Koroljow war das Blut in die Zehen gesackt. »Gläubig, Isaak Emmanuilowitsch? Ich?«
Babel lächelte. »Und, habe ich Unrecht?« Er beugte sich vor und legte Koroljow die Hand auf den Arm. »Verzeihen Sie mir bitte, wenn ich Sie beleidigt habe. Sicher habe ich mich geirrt.«
Koroljow trank sein Glas in einem Zug leer. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag fragte er sich, wie er es bloß geschafft hatte, sich in diese verfahrene Situation hineinzumanövrieren. Er atmete tief durch und stellte das Glas ab. »Ich bin Ihrer Meinung. Wenn es eine Botschaft war, dann war sie vielleicht für die Banditen bestimmt. Möglicherweise sogar für Kolja. Auch der ermordete Bandit wurde nämlich gefoltert. Haben Sie die elektrischen Brandmale bemerkt? Die waren an beiden Leichen.«
Babel stieß einen leisen Pfiff aus. »Elektrizität, sagen Sie? Es gibt natürlich Gerüchte ...«
»Was für Gerüchte?«
»Gerüchte eben. Über neue Verhörmethoden. Ich habe gehört, dass Elektrizität nicht nur dazu dient, Leninlampen strahlen zu lassen.«
Babel hatte offenbar erste Schlüsse gezogen, und Koroljow konnte sich leicht ausmalen, gegen wen sich der Verdacht des Schriftstellers richtete.
»Hören Sie, Genosse.« Koroljow legte in das Wort »Genosse« alle Loyalität und Hoffnung, an die sich alte Soldaten wie Babel und er aus den bitteren Jahren des Krieges gegen Deutschland erinnerten. »Ich weiß, es ist eine große Bitte. Aber in Moskau geht jemand um, der Menschen tötet, und ich möchte ihn zur Strecke bringen. Egal, wer es ist, egal, wer dahintersteckt.«
Babel ließ den Rotwein im Glas kreisen und trank. Mit genießerisch gespitzten Lippen wandte er sich wieder Koroljow zu. »Morgen finden Rennen statt. Trab und Galopp. Ein Pferd, das ich beobachte, hat eine Chance, also wäre ich sowieso hingegangen. Wenn ich ihn sehe, spreche ich ihn an. Ich nehme an, Sie würden gern seine Seite hören, falls er mir was erzählt, aber ich muss ihm auch sagen, wer da anfragt.«
»Besser wäre wahrscheinlich ein Gespräch unter vier Augen. Auf diese Weise hören Sie nichts, was Ihnen vielleicht nicht behagen würde.«
Babel zuckte die Achseln. »Vielleicht lässt es sich einrichten, und selbstverständlich haben Sie Recht: Auch für einen Mann wie mich gibt es Dinge, von denen er lieber nichts wissen will. Obwohl ich neugierig bin, wirklich furchtbar neugierig.« Er setzte ein Katzenlächeln auf, voller Mutwillen und Erwartung.
»Es muss natürlich in aller Stille passieren«, setzte er dann hinzu. »Oberstes Gebot in der Welt der Banditen ist die Verweigerung jeder Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Staat, das ist Ihnen sicher bekannt. Was Medwedjew erzählt, stimmt nicht ganz. Selbst im Gefängnis bellen die Banditen aus ihren eigenen Gründen gegen die Schafe und nicht, weil man es ihnen befiehlt. Kann Kolja denn mit einer Gegenleistung rechnen?«
Koroljow zögerte. »Die Leiche des Banditen vielleicht? Aus seinen Tätowierungen geht hervor, dass er Tesak hieß.« General Popow würde wohl zustimmen, wenn sie dadurch an Informationen kamen. Ansonsten würde die Leiche ohnehin nur eingeäschert werden. »Was machen die Banditen mit ihren Toten?«
»Das Gleiche wie alle anderen, denke ich. Sie begraben sie und denken in Liebe an sie - oder auch nicht, je nachdem. Aber die Übergabe der Leiche muss auf jeden Fall so gehandhabt werden, dass Kolja nicht als Denunziant dasteht.«
»Von mir aus kann er sie stehlen, das ist mir gleich.«
»Ich werde ihn fragen. Können Sie ihm sonst noch was anbieten?«
Nach kurzer Überlegung entschied sich Koroljow. Wenn er schon das Risiko einging, erschossen zu werden, dann sollte es dafür auch einen handfesten Grund geben. »Es muss kein einseitiges Gespräch bleiben. Vielleicht interessiert er sich für meine
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