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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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beteiligt waren, aber davon hatte er nichts mitbekommen. Und sie handelten ohne festen Plan, nur mit dem Ziel, die Ikone aufzuspüren und den Dieb zu entlarven. Alles war improvisiert, und ein Schritt führte zum nächsten, ohne dass man ahnen konnte, was er beinhaltete. Auch das war völlig ungewohnt für ihn.
    Unter den Genossen in der Organisation herrschte immer eine Atmosphäre des Vertrauens und der Unterstützung, eine Kameradschaft, die Anfälligkeit und auch gelegentliche Exzesse akzeptierte. Die Organisation wusste genau, unter welchem Druck Agenten wie er standen, und trug dem auch Rechnung. Man wurde umsorgt, bei Bedarf in Urlaub geschickt, man erhielt zusätzliche Wodkarationen, wenn man viel zu tun hatte. Meistens arbeitete er in der Moskauer Gegend. In den Gefängnissen Butyrka, Lubjanka, Lefortowo war er ein bekanntes Gesicht. Die Kollegen schauten nicht auf ihn herab, im Gegenteil. Sie begriffen, dass Spezialisten wie er für ihre Tätigkeit unverzichtbar waren. Bei gewöhnlichen Verhörmethoden gab es eben Grenzen, das wussten sie alle. Bei schwierigeren Fällen wurden Experten wie er benötigt. Er konnte einen Gefangenen auseinandernehmen und dann wieder zusammensetzen, aber immer nur im Rahmen eines größeren Ganzen. Er war bloß ein Rädchen im Getriebe, und jedes Rädchen war auf die anderen angewiesen, um weiterzurollen. Das war das Wesen der sowjetischen Macht, die kein Detail übersah und jedes Ziel erreichen konnte.
    Doch es war merkwürdig, dass auf einmal alles im Stillen geschehen musste. Offensichtlich ein Strategiewechsel, nachdem er anfangs die Anweisung erhalten hatte, die Leiche des Mädchens auf diesem verdammten Altar zu hinterlassen. Dahinter hatte sich wohl so etwas wie eine offene Botschaft an jemanden verborgen, zumindest konnte er sich keinen anderen Reim darauf machen. Außerdem ging ihm die Frau nicht mehr aus dem Sinn. Ihr Gesichtsausdruck am Ende ließ ihn nicht los. Er lauerte ständig an der Peripherie seines Bewusstseins, und es kostete ihn große Kraft, nicht daran zu denken.
    Auch jetzt erschien er wieder, obwohl er sich wehrte: dieser sanfte Blick, mit dem sie ihn kurz vor ihrem Tod bedacht hatte. Plötzlich streifte ihn der schwindelerregende Gedanke, dass es sich vielleicht um eine nicht genehmigte Aktion gehandelt hatte. Dass er womöglich ganz allein dastand, ohne Unterstützung, ohne Schutz. Dass er vom Jäger zum Gejagten werden konnte. Diese Vorstellung war einfach unerträglich. Er hatte Befehle befolgt, seinen Vorgesetzten vertraut - mehr war nie nötig gewesen. Er dachte an seinen schlafenden Sohn im Nebenzimmer, an seinen blonden Lockenkopf auf dem Kissen. Und er hoffte, dass es nur an der Müdigkeit lag, die ihm einen Streich spielte - dieses Gefühl, dass die sanften Augen des Mädchens einen Fluch über ihn gebracht hatten.
    Er schenkte sich den letzten Wodka ein und trank das Glas leer.
     

14
    Als Koroljow am nächsten Morgen die Einfahrt passierte, war der Schnee davor nur ein wenig aufgewühlt. Doch auf den Pflastersteinen innerhalb des Torbogens bemerkte er drei Papirossa-Stummel und eine leere, zerknitterte Schachtel Belomorkanal mit dem unverwechselbaren roten Stern auf der Karte des Weißmeerkanals. Er blieb nicht stehen, um die Hinterlassenschaften näher zu untersuchen. Sie bewiesen sowieso nichts. Selbst wenn dort in der Nacht wirklich jemand gestanden hatte, wer sagte denn, dass sich sein Augenmerk auf Koroljow richtete? So drückte er nur das Kinn tiefer in den Kragen und dachte an etwas anderes.
    Als er in der Petrowka-Straße eintraf, waren bereits Arbeitstrupps damit beschäftigt, den Schnee von der Straße zu schaufeln. Auch der Hof wurde von einer Gruppe bleichgesichtiger Kadetten mit breiten Schaufeln geräumt, die ihn ignorierten, als er die Vortreppe hinaufstieg. Selbst in der Vorhalle herrschte Betrieb. Arbeiter in schmutzigen Kleidern setzten eine frisch gegossene Statue Lenins an die Stelle, die vorher Jagoda eingenommen hatte. Bei Wladimir Iljitsch wusste man wenigstens immer, woran man war, sinnierte Koroljow. Er konnte nicht mehr in Ungnade fallen, weil er schon tot war.
    Beim Betreten von Zimmer 2F nickte er Jasimow zu und wurde gleich darauf von einer gehetzt wirkenden jungen Frau mit weißem Kopftuch zur Seite geschoben, die hinter ihm durch die Tür drängte. Als sie mehrere Umschläge und Rundschreiben auf den Tisch legte, setzte er ein Lächeln auf, das lediglich mit dem Schließen der Tür quittiert wurde.
    »Keine

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