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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Manieren, diese jungen Leute.« Er hängte seinen Mantel an den Haken.
    »Zumindest keinen Verstand.« Jasimow deutete auf den Bericht, an dem er gerade saß. »Zwei Studenten fanden es lustig, dem Bären am Jaroslawl-Markt eine halbe Flasche Wodka zu spendieren.«
    »Dem alten an der Kette? Was für eine Verschwendung.«
    »Ach, so alt auch wieder nicht, dass es ihm nicht geschmeckt hätte. Er hat die Kette zerbrochen, sich in den Buden nebenan ordentlich bedient und einen von den Studenten kräftig angenagt. Uniformierte mussten die arme Kreatur erschießen. Ich meine natürlich den Bären - der Student wurde ins Krankenhaus gebracht. Einem Bären Wodka geben? Wie können sich die jungen Burschen so was überhaupt leisten? Das würde mich mal interessieren.«
    In dem Poststapel fand Koroljow einen an ihn adressierten Umschlag. Er enthielt einen kurzen getippten Brief und zwei Fotografien, von denen eine Mary Smithson zeigte.
    Sehr geehrter Hauptmann Koroljow,
    bezugnehmend auf unsere gestrige Unterredung, lege ich die Visumbilder von Bürgerin Maria Iwanowa Kusnezowa (alias Mary Smithson) und Bürgerin Lydia Iwanowa Dohna (alias Nancy Dolan) bei, um Sie bei Ihren Nachforschungen zu unterstützen. Inzwischen wurde bestätigt, dass auch Bürgerin Dohna eine Nonne des orthodoxen Kults ist.  Wie besprochen werden Sie bei allen Ermittlungen zu diesen Personen äußerste Diskretion walten lassen und sich im Zweifelsfall mit mir in Verbindung setzen, um Instruktionen zum weiteren Vorgehen entgegenzunehmen.
    Hochachtungsvoll Gregorin (Stabsoberst)
    Koroljow betrachtete die Fotografie von Nancy Dolan. Hübsch, wie die andere - dunkle Augen, langer Hals und blasse Haut. Ihr Ausdruck verriet Humor, und nach der Aufnahme zu schließen, besaß sie ein fröhliches Gemüt. Ihr Blick war nach links gerichtet, wie um die Kamera zu meiden, und der elegante Schnitt der dunklen Haare musste in Moskau auffallen, wo nur die Frauen von Fachkräften und Parteikadern Zugang zu guten Friseuren hatten. Angeblich mussten sogar Mitglieder des Zentralkomitees persönlich intervenieren, um Termine bei Meister Paul im Arbat zu vereinbaren. Eigentlich sah sie nicht unbedingt nach einer Nonne aus, aber er ging davon aus, dass Gregorins Informationen zutrafen.
    Er griff nach der Packung Kleiner Stern, die er für Augenblicke wie diesen in seiner obersten Schublade aufbewahrte. Als er sich gerade eine anzünden wollte, läutete das Telefon.
    »Koroljow«, meldete er sich aus dem Mundwinkel.
    »Alexei Dimitrijewitsch? Hier Popow.« Der General klang, als wäre er soeben aus dem Winterschlaf gerissen worden. »Ich habe Ihren Bericht gelesen. Kommen Sie bitte mit Semjonow zu mir. Larinin auch.«
    »Die beiden sind gerade nicht im Büro, Genosse General.«
    »Dann eben, sobald sie eintreffen, die faulen Säcke. Schicken Sie mir inzwischen Jasimow hoch. Ich möchte hören, wie es mit diesem verdammten Spektakel weitergeht.«
    »Selbstverständlich, Genosse General.«
    Popow legte auf, und Koroljow steckte sich die Zigarette mit einem Seufzer an, der eher Trauer als Zufriedenheit ausdrückte. Ein zorniger General Popow war kein idealer Tagesanfang und nahm dem Rauch etwas von seiner Süße. Er fing Jasimows Blick auf und deutete mit der glühenden Spitze zur Decke. »Der Chef will das Neueste über den Bären hören. Hat sich angehört, als wären sie miteinander verwandt gewesen.«
    Eine halbe Stunde später waren Koroljow und seine zwei Kollegen an der Reihe. Koroljow fasste die Ereignisse des vergangenen Tages zusammen und informierte auf Bitten des Generals hin Larinin über Mary Smithsons Identität und die Mitwirkung des NKWD. Während er sprach, wurde Larinins Gesicht allmählich bleich. Er sah noch immer aus wie ein Schwein, aber nicht unbedingt wie ein glückliches. Eher schon wie ein Schwein, das gerade herausgefunden hatte, woraus Würste gemacht wurden.
    »Genosse General...« Weiter kam Larinin nicht.
    »Sie verschwenden Ihre Zeit, Larinin. Der Bandit ist Ihr Fall, also kümmern Sie sich auch darum. Und ich werde genauestens darüber wachen, dass Sie sich nicht drücken. Noch irgendwelche Fragen?«
    Alle Augen wandten sich zu Larinin. Sein Mund war noch immer leicht geöffnet, als wollte er sprechen, doch dann schüttelte er den Kopf.
    »Gut«, stellte Popow fest. »Was haben Sie sich für heute vorgenommen, Alexei Dimitrijewitsch?«
    »Ich finde, wir sollten versuchen, den Wagen zu identifizieren. Wir glauben, dass es sich um einen schwarzen

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