Russisches Requiem
die langsameren Kinder her.
»Ratten! Ratten! Ratten!« Schwer schnaufend lehnte sich der alte Milizionär an die Mauer, während die letzten Nachzügler um die Ecke verschwanden. »Auf diese Weise überfallen sie Betrunkene, Genosse. In der Nacht. Eine richtige kleine Meute. Wenn das Opfer erst am Boden liegt, haben sie es. Eines Tages bringen sie noch jemanden um. Schauen Sie sich Ihren Mantel an, wenn Sie mir nicht glauben.«
Von Koroljows Achsel verlief ein langer, gerader Schnitt nach unten. Schnell tastete er mit der freien Hand danach. Kein Blut. »Gott im Himmel. Wie soll ich denn das reparieren lassen?«
»Näh's dir selbst, du altes Waschweib.« Die Stimme drang aus dem Gewirr von Beinen und Stoff, das er an die Mauer presste. Wie auf ein Stichwort hin prasselten um sie herum Steine und Holzstücke auf den Boden, als die neuerlich formierten Kinder gegen sie vorrückten, um den Gefangenen zu befreien.
»He, he. Schluss jetzt, ihr kleinen Racker.« Er gab sich keine Mühe, seinen Zorn über den aufgeschlitzten Mantel und die malträtierten Hoden zu verbergen. »Wenn ihr vernünftig seid, tue ich keinem von euch was, und auch den kleinen Goldstein nehme ich nicht fest. Ich will nur ein paar Fragen stellen. Ich bin Kriminalbeamter aus der Petrowka-Straße.«
Die Petrowka-Straße kannten alle. Die Jungen und ein oder zwei Mädchen stellten ihr Bombardement ein. Koroljow nutzte die Gelegenheit, um Kim Goldsteins Kleider zu ordnen, damit man sein Gesicht erkennen konnte.
»Seht ihr? Alles in Ordnung mit ihm.« Er achtete darauf, sich von Goldsteins Zähnen fernzuhalten, und unterband seine Tritte, indem er die Beine des Bengels flach gegen die Ziegelwand presste.
»Erinnerst du dich an mich? Von der Kirche, wo die Frau ermordet wurde?«
»Was willst du, Ment?« Kalte Wut lag in der Stimme des Jungen, aber er schlug wenigstens nicht mehr um sich.
»Informationen. Du kannst dir ein paar Rubel verdienen.«
»Wir verpfeifen niemanden. So was gibt's bei uns nicht.«
Ein seltener Edelmut, schoss es Koroljow in den Sinn, in einer Stadt, wo so viele Anzeigen bei der Kriminalmiliz einliefen, dass sie acht Beamten brauchten, nur um alles durchzulesen.
»Hört mal, ich bin hinter einem Mörder her, der junge Frauen zu Tode foltert. Das ist ein Ungeheuer, kein normaler Bewohner des Viertels, der auf dem Sucharewka-Markt Gemüse verkauft. Ich brauche eure Hilfe.«
»Wie die Baker-Street-Bande?«, fragte eine kleine blonde Göre mit schmutzigem Gesicht, die in einem verschlissenen, aber gut geschnittenen Mantel steckte.
»Mögt ihr Sherlock Holmes?«, fragte Koroljow.
Mehrere Kinder nickten, und ein Junge brachte ein ramponiertes Exemplar von
Das Zeichen der Vier
zum Vorschein.
»Gut, wenn ihr wollt, könnt ihr die Rasin-Straßen-Bande sein. Ein Rubel für jede wertvolle Information.«
»Ein Rubel? Vergiss es.«
Koroljow registrierte eindeutiges Interesse in Goldsteins verächtlich verzogenem Gesicht. Er lockerte den Griff, da es jetzt offensichtlich nicht mehr ums Prinzip ging, sondern um den Preis.
»Ich könnte noch ein wenig raufgehen.« Leicht besorgt dachte Koroljow an die Reaktion des Generals, der die Bezahlung von Informanten grundsätzlich ablehnte.
»Fünf.«
»Wenn es sehr gut ist, ja. Ansonsten müssen wir sehen.«
Zwei gerissene Augen starrten ihn unter einem verdreckten roten Haarschopf an. »Also.« Damit schien die Vereinbarung besiegelt. Die anderen rückten näher, und der Wachtmeister hielt für alle Fälle noch den Schlagstock bereit.
Koroljow seinerseits achtete darauf, dass er alle Kinder im Blick hatte. »In Ordnung, Jungbürger. Ich heiße Koroljow. Alexei Dimitrijewitsch. Fangen wir mit der Dame an, die ermordet wurde. Das ist eine Fotografie von ihr. Kennt sie einer von euch?«
Er zeigte Mary Smithsons Passbild herum, doch es gab keine Reaktion außer allgemeinem morbidem Interesse und einem leisen Schluchzen von dem kleinen Mädchen.
Er versuchte es erneut. »Einige Zeugen haben sie vielleicht an dem Tag gegen Mitternacht gesehen. War da von euch noch jemand auf? Unter Umständen war weiter hinten an der Straße ein Wagen geparkt. Hat den vielleicht einer bemerkt?«
»Da war wirklich ein schwarzer Emka. Erinnert ihr euch noch? Beim Zigarettenkiosk.« Die Antwort kam von einem mageren Pimpf mit flacher Mütze und ausgeleiertem Pullover.
Zwei andere nickten zustimmend. »Ich weiß noch, das war Richtung Kreml. Auf der gleichen Straßenseite wie die Kirche.«
»Genau, und
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