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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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auf dem Fahrersitz saß einer, der hat geraucht.«
    »Hat den jemand genauer angeschaut?«
    »Nein, wir dachten das ist der Fahrer von'nem hohen Tier oder ein Ment. Da sind wir lieber weggeblieben«, ließ sich der mit der flachen Mütze vernehmen.
    »Hatte den Kragen ganz weit hochgeschlagen. Man hat eigentlich nur die Zigarette gesehen.«
    »Sehr gut.« Koroljow zückte seine Brieftasche. Er zupfte zwei Rubelscheine heraus und legte nach kurzem Nachdenken noch drei dazu.
    »Ich möchte, dass ihr für mich nach jemandem Ausschau haltet.« Er zeigte ihnen das Bild von Nancy Dolan.
    »Fünf Rubel, wenn ihr sie findet, und die fünf hier könnt ihr euch fürs Erste teilen.«
    Goldstein griff nach dem Geld und streckte die Hand aus, um die Abmachung zu bekräftigen. »Wir finden sie, keine Sorge.« Er trat zu den anderen Kindern, dann verschwand die ganze Schar geschlossen in der Gasse.
    »Reine Geldverschwendung«, grummelte der Wachtmeister, doch hinter seinem Schnurrbart verbarg sich ein leises Lächeln.
    Koroljow nickte in die Richtung, wo die Kinder verschwunden waren. »Was wird aus ihnen? Letzten Endes, meine ich.«
    »Wenn sie der Staat nicht in ein Waisenhaus steckt, nimmt sie der Herr zu sich. Was davon besser ist, weiß ich nicht.«
    Die Antwort entsprach Koroljows Erwartungen. Auf dem Weg zurück zum Milizposten knöpfte er den Mantel zu, um sich gegen den unaufhörlichen Nieselregen zu schützen, und fuhr mit dem Finger durch den Schnitt an der Seite. »Wie heißen Sie eigentlich, Genosse Wachtmeister? Damit ich Bescheid weiß, wenn Sie anrufen.«
    »Puschkin.«
    »Wirklich?«
    Resigniert schüttelte der Wachtmeister den Kopf. »Ich bitte Sie, Genosse Hauptmann. Das hab ich mir doch nicht ausgesucht. So was entscheidet sich mit der Geburt. Und einen Familiennamen ändert man nicht, oder? Ich beschwere mich auch nicht - ein Name ist schließlich bloß ein Name. Der Herr hat es so gewollt. Ich meine, es ist, wie es sein muss. Genosse Stalin würde seinen Namen doch auch nicht ändern.«
    »Da haben Sie Recht, Genosse.«
    Aber natürlich
hatte
der große Generalsekretär seinen Namen geändert. Das georgische Schlitzohr. Für russische Ohren klang Stalin eben besser als Dschugaschwili.
     

15
     
    Fluchend stapfte Koroljow durch eine tiefe Pfütze vor dem Revier in der Rasin-Straße.
    Im Eingang wartete Brusilow und rauchte eine Zigarette. »Hallo, Koroljow, Sie sehen ja aus, als wären Sie durch die Moskwa geschwommen. Und was ist denn mit Ihrem Mantel passiert?«
    Koroljow schüttelte Brusilow die schaufelartige Hand und hielt gleichzeitig den Saum des aufgeschlitzten Kleidungsstücks hoch. »So ein kleiner Rotzlöffel, der mir mit dem Rasiermesser ans Leder wollte. Habt ihr vielleicht irgendwo ein Feuer, wo ich ihn kurz aufhängen kann? Er ist völlig durchweicht.«
    Hauptmann Brusilows Gesicht schien aus Steinen geformt, so hart wie die Mauern des Reviers, doch seine Augen funkelten freundlich, als er auf einen gusseisernen Ofen hinten im Zimmer deutete. Koroljow war froh, sich endlich aus seiner nassen Hülle schälen zu können. Das Revier war noch verwahrloster, als er es in Erinnerung hatte. Auf einer Bank, die eine ganze Wand entlanglief, saß eine bunte Mischung von Moskauern mit feuchten Kleidern und sauren Gesichtern vor drei Schreibtischen, an denen uniformierte Milizionäre die endlosen Anzeigen, Meldungen und Bescheide bearbeiteten. Das Ganze wurde von einer nackten elektrischen Glühbirne beleuchtet.
    Brusilow bemerkte seinen Blick und schüttelte den Kopf. »Die Hälfte unserer Zeit verbringen wir mit bürokratischem Kram. Drei meiner Männer stempeln von früh bis spät nur Dokumente ab, und trotzdem wird die Schlange jeden Tag länger. Also, Ihr junger Kollege wartet oben mit Bürgerin Kardaschewa. Das ist vielleicht eine Marke. Macht es Ihnen was aus, wenn ich mich dazusetze?«
    »Überhaupt nicht, Genosse. Je mehr, desto lustiger.«
    Semjonow und Kardaschewa saßen sich an einem zerschrammten Holztisch im Verhörraum des Reviers gegenüber. Von den Wänden blätterte die graue Farbe, und die Glühbirne war nicht stark genug, um die Ecken zu erreichen.
    »Ah, da kommen ja noch mehr.« Kardaschewa rückte ihre Brille zurecht, um Brusilow und Koroljow zu inspizieren. »Bin ich verhaftet?«
    »Nein, Bürgerin, wir wollen Ihnen nur einige Fragen stellen zu dem, was Sie vorletzte Nacht beobachtet haben.« Semjonow wirkte müde, offensichtlich hatte er ihr das nicht zum ersten Mal

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