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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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doch, die verstehen schon was von Schießeisen.«
    Einer ihrer Begleiter klopfte zweimal, und die Tür wurde von einem Mann mit kahlgeschorenem Schädel geöffnet, den Koroljow aus der Eingangshalle wiedererkannte. Er schaute Koroljow mit undurchdringlicher Miene an und spuckte auf den Boden, als sie vorbeigingen.
    »Achten Sie nicht auf ihn. Er hat nur seine Tage. Angeblich hat ihn die Zone so zickig gemacht.«
    Sie stiegen eine Holztreppe hinunter, und ihre Schritte hallten von den Wänden wider. Der Glatzkopf bildete die Nachhut. Bei jeder Biegung warf Koroljow kurze Seitenblicke auf seine Begleiter und kam zu dem Schluss, dass sie genau wussten, was sie taten. Hoffentlich hielt sich Semjonow weiter im Hintergrund.
    Unten angelangt, verließen sie das Gebäude und schritten über einen verlassenen Hof zu einer massiven Tür, die bereits von einem wartenden Gorilla geöffnet wurde. In dem dunklen Gang dahinter hing der warme, erdige Geruch von Pferden. Koroljow hörte, wie draußen der Name von
Proletarische Kraft
gerufen wurde, als das Rennen sich dem Ende näherte, und fragte sich, ob Babel mit seiner Platzwette einen Treffer gelandet hatte. Die Augen des Autors funkelten vor Aufregung, aber das hatte wohl kaum etwas mit dem Ausgang des Rennens zu tun. Der vorderste Bandit öffnete eine breite Doppeltür, und Mischka folgte Koroljow und Babel in einen großen Raum mit Stallboxen zu beiden Seiten. Hinter ihnen wurde die Tür geschlossen. Das einzige Licht drang hinten aus einer Ecke, wo ein massiger Mann unter einer Laterne saß, dessen schwarze Lederweste sich straff über seine Schultern spannte. Das Gesicht des Mannes lag verborgen im Dunkeln, aber er hatte den Körperbau eines Ringers.
    »Sie nicht, Schreiberling«, befahl Mischka. »Nur der starke Arm der Arbeitergerechtigkeit, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Sie warten mit mir hier.«
    Im Vorbeigehen klopfte Koroljow dem Autor beruhigend auf den Arm. Draußen ging unter lautem Tosen das Rennen zu Ende, doch der Trubel schien sehr weit weg von der Ruhe des Stalls.
    Als Koroljow auf ihn zutrat, erhob sich der Mann in der Weste. »Ich habe gehört, dass Sie mich sprechen wollen.«
    Koroljow staunte über die kultivierte Stimme, die tief und klar klang wie die eines Schauspielers. Vielleicht stammte daher der Beiname »Graf«. Koljas breites, glattrasiertes Gesicht schimmerte bleich im flackernden Licht, seine Augen waren schwarz und tiefliegend. Sein gedrungener Hals ragte aus einem gestärkten weißen Hemd, das sich von der dunklen Weste abhob. Er war gut aussehend, wie es oft bei Athleten der Fall war, mit regelmäßigen, prägnanten Zügen und pechschwarzem, kurzgeschorenem Haar. Mit Fingern, die blau waren von Gefängnistinte, zupfte sich der Bandit am Ohrläppchen, während er Koroljows musternden Blick gespannt erwiderte.
    Koroljow hatte das Gefühl, berechnet zu werden - addiert und subtrahiert, bis die Lösung feststand. Keine angenehme Erfahrung. »Und ich habe gehört, dass Sie mich sprechen wollen.« Als das Schweigen unangenehm wurde, fügte er hinzu: »Das hat mich überrascht.«
    »Kein Wunder. Wie kommt ein Mann wie ich dazu, mit einem Hauptmann der Moskauer Kriminalmiliz zu reden? Ich sollte mir eine Kugel durch den Kopf jagen.« Die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen. Der sündteure Mantel an einem Haken hinter ihm war wie ein Wahrzeichen krummer Machenschaften.
    »Warum also?«
    Kolja überlegte, dann zuckte er die Achseln. »Wir sind der Meinung, dass es eine außergewöhnliche Situation ist.«
    »Außergewöhnlich?«
    »Richtig. Das ist unter den Umständen wohl der angemessene Ausdruck.« Kolja nickte, als wollte er sich selbst zustimmen.
    Eine witzige Bemerkung der düsteren Art, wie Koroljow fand. »Ihre Männer sind der Meinung, dass die Situation außergewöhnlich ist. Sie haben abgestimmt?«
    »Es sind nicht
meine
Männer, Hauptmann Koroljow, das wissen Sie. Ich vertrete sie nur. Und wenn ich sie nicht so vertrete, wie sie es erwarten, werde ich mit Blei in Pension geschickt, und ein anderer übernimmt meine Position. Aber es stimmt, wir hatten ein Treffen, zumindest die führenden Banditen -die >Autoritäten<, wie das bei uns heißt -, und haben die Entscheidung gemeinsam gefällt. Sehr bolschewistisch, das müsste Ihnen doch eigentlich zusagen. Sie kennen ja die Redensart, dass man von zwei Übeln das geringere wählt. Deshalb haben wir beschlossen, mit Ihnen zu sprechen.«
    »Warum ausgerechnet mit mir?«
    »Im

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