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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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mir«, ließ sich eine Stimme vernehmen.
    »Schaut, was er mit dem armen Burschen gemacht hat, und ganz ohne Grund. Kommt, Jungs, den schnappen wir uns.«
    Aber Koroljow war schon zwanzig Meter weiter mit Babel im Schlepptau, dessen Augen leuchteten. Plötzlich ging Semjonow neben ihnen, eine Tasche seines Mackintosh waffenförmig ausgebeult, und bahnte ihnen mit ruhiger Miene einen Weg durch die Menge. Koroljow musste zugeben, dass er sich nach dem Kopfstoß ein wenig unsicher auf den Beinen fühlte, und als Semjonow Babels anderen Arm nahm, hatte es fast den Anschein, als würde der Autor
ihn
mitziehen statt umgekehrt. Irgendwie stolperte er mit den beiden durch die Eingangshalle, und dann waren sie draußen auf der Straße. Niemand schien ihnen zu folgen.
    »Zum Wagen.« In der frischen Luft ging es Koroljow wieder etwas besser, wenn er auch immer noch halb blind vor Schmerzen war.
    Semjonow sprintete voraus, und als sie beim Wagen anlangten, lief bereits der Motor. Sobald sie eingestiegen waren, trat der Leutnant aufs Gas, und die Reifen drehten auf der nassen Straße durch, ehe der Wagen nach vorn schoss.
    »Alles in Ordnung, keine Gefahr mehr. Sie können langsamer fahren.« Koroljow schaute sich nach dem zurückweichenden Hippodrom um und spürte plötzlich das träge nach unten sickernde Blut auf dem Gesicht. Er tastete nach seinem Taschentuch.
    »Was um alles in der Welt ist denn in Sie gefahren?« Babel begann zu lachen.
    »Kein Wunder, dass man Sie die Dampfwalze genannt hat, Alexei Dimitrijewitsch.« Semjonow grinste vor Vergnügen. »Ganze Arbeit, wirklich beeindruckend. Peng, peng, peng. Gute Nacht und auf Wiedersehen.«
    Koroljow drehte den Rückspiegel zu sich, um die Verletzung zu begutachten, in der Hoffnung, dass das meiste Blut von dem anderen stammte. Auf jeden Fall war es ziemlich viel. Er feuchtete das Taschentuch mit Spucke an und fing an, es wegzuwischen.
    »Vielleicht war es nur ein Besoffener oder vielleicht was anderes, auf jeden Fall wollte ich dieser Frage nicht mitten unter einer angesäuselten Horde von Arbeitern nachgehen.« Aus einem rotbraunen Riss an seiner Stirn quoll dunkles Blut. »Verdammt, das muss genäht werden. Kommen Sie, wir müssen sowieso ins Institut, da kann mich die Tschestnowa zusammenflicken.«
    Schweigend nahm Semjonow die nächste Abzweigung nach rechts. Koroljow fühlte eine leichte Übelkeit, aber auch eine seltsame Euphorie, trotz der dröhnenden Kopfschmerzen. Er ließ den Zusammenstoß Revue passieren: der schale Wodkaatem des Mannes, der raue Kragenstoff in seinen Händen, die überrascht aufgerissenen Augen. Er hatte nicht die Beherrschung verloren, da war er sich völlig sicher. Klar, er war wütend gewesen, aber weniger über den Arbeiter als darüber, dass er in diesem lächerlichen Fall feststeckte. Alle stießen ihn in diese oder jene Richtung: Popow, Kolja, Gregorin. Auch Babel auf seine Weise - selbst jetzt machte er sich auf dem Rücksitz irgendwelche Notizen. Alle zogen an Strippen, legten falsche Fährten, beobachteten ihn, und wenn er nicht höllisch aufpasste, musste er damit rechnen, gewaltig auf die Nase zu fallen. Gregorin besaß nicht einmal die Höflichkeit, so zu tun, als würde er ihn nicht für seine Zwecke benutzen, wenn er ihn hin und her scheuchte und nach Bruchstücken von Informationen jagen ließ, ohne auch nur zu erwähnen, dass er derjenige war, der die Ikone entdeckt hatte. Und dann kam auch noch so ein großer Hornochse von einem Mechaniker und wollte ihn herumschubsen. Kein Wunder, dass er die Gelegenheit genutzt hatte, um sich abzureagieren. Der Schmierölaffe hatte sich für seine Stänkerei den falschen Ment ausgesucht, so viel stand fest. Wieder tupfte er über den Riss. Hoffentlich hatte er dem Scheißkerl die Nase zu Brei zerquetscht.
    Nach einiger Zeit brach Semjonow das Schweigen. »Und? Was hatte Kolja zu erzählen?«
    »Ein paar Sachen, die wir überprüfen müssen, aber eigentlich nichts Nützliches.« Koroljow sprach möglichst unbefangen. Es war besser so. Auch wenn er von seiner Kopfverletzung benommen war, wollte ihm überhaupt nicht behagen, was er von Kolja gehört hatte. Diese Informationen konnten tödlich sein, und Semjonow hatte noch das ganze Leben vor sich.
    Semjonow steuerte den Wagen durch das Tor des Instituts, und sie hielten neben einem schlammverschmierten ZIS, den Koroljow von der Fahrzeugflotte der Miliz kannte. Auf der Kiesfläche vor dem Eingang parkten mehrere Lastwagen mit regennassen

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