Russisches Requiem
Motorhauben. Auf allen Seitenplanen stand in großen weißen Buchstaben: »Spezialkommando Chemiewaffenabwehr«. Mit feuchten Zigaretten im Mund und mürrischer Miene verfolgten die wartenden Fahrer, wie der Ford bremste, als wäre nichts Gutes von ihm zu erwarten. Für den morgigen Tag war in der ganzen Stadt eine Zivilschutzübung geplant, zu der diese Männer wohl gehörten. Bisher hatten die Faschisten in Spanien noch kein Gas eingesetzt, aber Koroljow war davon überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie zu solchen Mitteln griffen.
»Anscheinend ist Larinin da.« Er deutete auf den ZIS.
»Wer ist das?«, fragte Babel.
»Ein Kollege. Isaak Emmanuilowitsch, macht es Ihnen was aus, hier im Wagen zu warten? Der Autopsiesaal darf von Unbefugten nicht betreten werden, Ihre Anwesenheit wäre riskant für Dr. Tschestnowa. Wanja, Sie können Genosse Babel ja Gesellschaft leisten. Wenn Sie gebraucht werden, lasse ich Sie rufen.«
Er fand sie in ihrem Büro. Sie hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und las
Sowjetski Sport.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«
»Ich bin gegen eine Tür gerannt«, knurrte Koroljow. »Können Sie mich zusammenflicken?«
»Die arme Tür. Na, dann lassen Sie mal sehen. Ah, halb so schlimm. Zwei Stiche und ein bisschen Desinfektionsmittel.« Sie winkte ihn zu einem kleinen Metallkasten mit einem roten Kreuz darauf, der in dem Bücherregal neben der Tür stand. Inzwischen trat sie an das Waschbecken in der Ecke und reinigte sich die Hände.
Aus Neugier schlug Koroljow die Zeitschrift auf, in der sie geblättert hatte.
»Keine Sorge, Alexei Dimitrijewitsch, ich habe nicht vor, eine Karriere als Athletin einzuschlagen.«
»Wie ich höre, ist es nie zu spät dafür.« Koroljow zuckte, als sie die Ränder der Wunde inspizierte. »Wo ist eigentlich Larinin? Ich habe seinen Wagen draußen gesehen. Sie haben ihn nicht zufällig in den Verbrennungsofen geschoben?«
Tschestnowa verzog das Gesicht. »Esimow assistiert Ihrem geschätzten Kollegen. Ich habe es vorgezogen, sie allein zu lassen. Die Zeitung gehört übrigens Esimow. Er darf sich eine Stunde lang Ihren Kollegen und den toten Banditen anschauen, während ich mich an sowjetischen Sportlern mit nackter Brust und kurzer Hose delektiere. Mit so einer Zeitschrift kann man wirklich seine Anatomiekenntnisse auffrischen, glauben Sie mir.«
»Klingt nach gerechter Arbeitsteilung.«
»Ha. Jetzt halten Sie mal still, wie es sich gehört für einen tapferen Milizionär.« Mit einem Stück Baumwolle, das mit einer gelben Flüssigkeit getränkt war, tupfte sie über den Riss. Schon bevor sie ihn berührte, schoss ihm das Wasser in die Augen.
»So, gar nicht so schlimm, oder?« Ihre Stimme hatte einen schadenfrohen Unterton.
»Nähen Sie es einfach zusammen und fertig.« Koroljow spürte den Schweiß in den Achselhöhlen; er wäre lieber woanders gewesen. Er fühlte den starken Drang, sich zu übergeben.
»Einen Moment noch.« Tschestnowa fädelte die Nadel ein. »Halten Sie endlich still.«
»Ich halte ja still.« Koroljow wich vor der Nadelspitze zurück.
»So ist es gut. Übrigens, heute ist eine interessante Leiche eingetroffen. Wurde in einer Kirche gefunden, die abgerissen wird. Der Sprengsatz hat nicht gezündet, und bei der Überprüfung der Ladung haben sie einen toten Säufer entdeckt. Ich frage mich, ob es da vielleicht eine Verbindung gibt. Weil er auch in einer Kirche gefunden wurde, meine ich.«
»Sind Sie endlich fertig?«
Sie tätschelte ihm die Wange und legte die blutige Nadel in eine Metallschale.
»Mehr oder weniger. Sie sollten sich einen Tag lang schonen - das war ein heftiger Stoß. Ist Ihnen irgendwie schwindlig oder übel? Kopfschmerzen?«
»Mir geht's gut.« Koroljow ignorierte das Schwanken des Bodens. Von so einer kleinen Beule am Kopf ließ er sich bestimmt nicht bremsen.
Die Pathologin blickte ihm in die Augen und reckte mehrere Finger in die Höhe. »Wie viele sind das?«
»Zählen Sie sie doch selbst! Mir geht's gut.« Koroljow würde ihr nicht auf die Nase binden, dass es sechs waren. Selbst in seinem Zustand wusste er, dass das nicht stimmen konnte.
»Eine Gehirnerschütterung ist kein Spaß - aber das müssen Sie selbst wissen.«
»Ich habe schon härtere Schläge auf den Kopf gekriegt, glauben Sie mir.«
»Ach, das glaube ich sofort.« Die Ärztin grinste unverschämt.
18
Die Leichenhalle war leer, als sie eintraten, und er folgte der Pathologin in den kleineren
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