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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sich der Loyalität des Dienstadels zu versichern habe. Das war ihm großartig gelungen. Im Jahre 1649 wurde das berühmte neue russische Gesetzbuch, das ulozenie, proklamiert. Einer der Punkte lautete, daß kein Bauer seines Herrn Land wegen eines anderen Herrn verlassen dürfe und daß ein Herr einen entlaufenen Bauern jederzeit zurückholen könne. Obendrein wurde festgesetzt, daß die niederen Klassen in den Städten sich ebensowenig frei bewegen durften.
    Für die meisten Bauern in Sumpfloch änderten diese Gesetze kaum etwas an ihrem derzeitigen Leben, doch Marjuschka war sich darüber im klaren, daß ein Landbesitzer seine Bauern nun ohne weiteres wie Sklaven halten konnte.
    Marjuschka, die eine Weile in Gedanken versunken dagesessen hatte, fuhr fort: »Dein junger Freund Bobrov besitzt mich, als wäre ich seine Sklavin. Wahrscheinlich kann er mich sogar verkaufen.« Sie lachte bitter. »Ihr Ukrainer revoltiert gegen die Polen. Dann wollt ihr ein Teil von Rußland werden. Unter dem türkischen Sultan wäret ihr besser daran!«
    Dieser Gedanke war Andrej in letzter Zeit auch gekommen, aber er konnte nur antworten: »Der Sultan ist kein Orthodoxer.« Am Sonntag vor Ostern sollten seine Zweifel zerstreut werden. Nikita hatte Andrej vorgeschlagen, ihn in die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale zu begleiten. Sie machten sich gemeinsam auf den Weg, in respektvollem Abstand gefolgt von Marjuschka und ihrer Mutter.
    Auf dem Platz vor der Kremlmauer stand die Menge dicht gedrängt. Denn die Zeremonie des Palmsonntags war in Moskau ein außergewöhnliches Ereignis.
    Von der Basilius-Kathedrale aus setzte sich die lange Prozession von Bojaren, hohen Beamten und Priestern in Bewegung und zog zu einer Tribüne auf dem Platz vor der Kremlmauer, wo ein Knabenchor Hymnen sang. Die Honoratioren trugen dicke Goldketten um den Hals, hohe Hüte und Mäntel aus Hermelin oder Schwarzfuchs. Die Bojaren waren mit herrlich bestickten Roben angetan, und die bärtigen Priester in ihren glitzernden, mit Gold und Edelsteinen bestückten Gewändern sahen geradezu imposant aus. Aufwendige, mit Edelsteinen besetzte Mitren zierten die Bischöfe. Vier Pferde zogen einen Wagen, auf dem ein mit Früchten behangener Baum stand – das Symbol des Tages. Nun sanken zu beiden Seiten die Strelitzenwachen, in offener Formation auf dem Platz verteilt, in die Knie und berührten mit der Stirn den Boden. Zuletzt kam der Zar selbst, den Einzug Christi in Jerusalem nachvollziehend, demütig zu Fuß und führte einen Esel, auf dem die hohe Gestalt des Patriarchen saß. An der kleinen Tribüne hielt der Zug an.
    Nachdem der Zar einige Worte gesprochen hatte, setzte sich die Prozession wieder in Bewegung und betrat den Kreml durch das große Erlösertor. Der Zar begab sich zum Gebet in die Kathedrale. Das muß der Idealstaat sein, dachte Andrej: ein Land, in dem kirchliche und weltliche Macht eine Einheit bilden. Die Russen nannten ihren Herrscher »frömmster, rechtgläubigster und sanftmutigster Zar«. Und hatte Andrej nicht soeben selbst gesehen, daß diese Bezeichnungen zutrafen?
    Er ging mit Nikita in den Kreml. Es herrschte ein zu großes Gedränge, als daß sie in die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale hätten gehen können. So warteten sie draußen in der Hoffnung, noch mehr zu sehen.
    Ihre Geduld wurde belohnt. Nach dem Gottesdienst trat unter Glockengeläut neben dem Zaren auch die wunderschöne Zarin unverschleiert aus der Kathedrale.
    Es war ein unvergeßlicher Tag. Zugleich brachte er, zumindest für eine Woche, das Ende von Andrejs Affäre. Als Marjuschka ihm leise vorschlug, ihn am nächsten Tag zu besuchen, schüttelte er nur den Kopf. Sie blickte ihn ein wenig enttäuscht an, sagte jedoch nichts. Die Karwoche verlief ruhig. Andrej hielt die Fastenregeln streng ein. Am Ende der wunderschönen Ostervigil im Kreml fühlte er sich sehr schwach und heiter zugleich. Am folgenden Morgen war er dabei, als der Zar die buntbemalten Ostereier feierlich an die Honoratioren und die Soldaten im Kreml verteilte. Danach besuchte Andrej Nikita, um gemeinsam das Ende der Fastenzeit zu feiern. Es war ein fröhliches Fest. Blini, Honigkuchen, Pfefferkuchen und viele andere Köstlichkeiten wurden aufgetragen. Marjuschka und ihre Mutter bedienten die geladene Freundesschar. Andrej fühlte sich wie ein neuer Mensch. Doch als sein Kopf angenehm umnebelt war von all dem Kwaß und Met und Wodka, verflüchtigten sich die asketischen Gedanken der vergangenen Woche alsbald;

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