Russka
bestimmt.«
Andrej dankte für die freundliche Aufnahme und gab beim Abschied eine großzügige Spende.
Die letzten Tage mit Marjuschka waren schwierig gewesen. Zuerst einmal war da die Furcht vor Entdeckung. Für sich selbst fürchtete Andrej nichts. Schließlich war er ein Kosak; doch Marjuschka schien von so wilder Verzweiflung erfüllt, daß er manchmal dachte, sie könnte etwas zu ihrem eigenen Schaden tun. Trotzdem verhielt sie sich sehr geschickt. Verdrossen beschwerte sie sich überall, daß sie für einen Kosaken putzen und kochen müsse. Wenn er ausging, machte sie sich mit mürrischer Miene an die Arbeit. Und es gelang ihr auch, den Eindruck zu erwecken, als halte sie sich möglichst außerhalb des Hauses auf, wenn er dort war. Und doch schlüpfte sie frühmorgens leise in sein Bett, und auch zwischendurch richtete sie es so ein, daß sie sich lieben konnten, ohne daß jemand sie überraschte. Mehrmals hatte sie ihn gebeten: »Nimm mich mit in die Ukraine.«
»Du hast einen Ehemann«, gab Andrej zu bedenken. »Ich hasse ihn.«
»Aber ich ziehe wieder in den Kampf.«
Liebte sie ihn, oder sah sie in ihm nur ein Mittel zur Flucht? Er konnte sich diese Frage nicht beantworten. Doch selbst wenn es möglich gewesen wäre, mit ihr auf und davon zu gehen, er wollte Marjuschka nicht mit sich nehmen.
Sie gab noch nicht auf. Sie fragte, wenn auch nicht zudringlich, wieder und wieder. Sie wurde ihm lästig. Als er am letzten Nachmittag nach Hause kam, war er wieder auf diese Frage gefaßt. Doch Marjuschka hatte die Taktik geändert. Äußerlich ruhig fragte sie: »Hast du Geld, Kosak?«
»Ein wenig. Warum?«
»Weil ich glaube, daß ich ein Kind bekomme.«
»Und es ist mein Kind?«
»Natürlich.« Er blickte zu Boden.
»Ich weiß, daß du mich nicht mitnimmst.« Ihre Stimme klang traurig. »Ein Kosak kann alles, was er will, aber du willst mich nicht. Wenn du Geld hast, gib mir wenigstens etwas.« Er hatte eine Menge Münzen bei sich, polnische und russische. Er gab ihr alle russischen.
»Danke.« Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Du könntest immer noch das Geld behalten und mich mitnehmen.« Sie lächelte verlegen. »Nein.«
Eine Zeitlang sprach keiner ein Wort, aber er hörte, daß sie leise weinte.
Plötzlich stöhnte sie auf. »Du weißt nicht, Kosak, was es heißt, einsam zu sein, nicht wahr?«
»Ich bin oft allein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht so wie ich. Du hast Hoffnung. Vielleicht wirst du getötet, aber du lebst im ständigen Abenteuer. Du bist frei, Kosak, frei wie ein Vogel über der Steppe. Aber ich bin allein und sitze in der Falle, verstehst du? Es gibt keinen Ausweg.
Es ist schrecklich zu wissen, daß man für immer allein sein wird – begreifst du das nicht?«
Er dachte an ihre Mutter, an das Dorf, an ihr Kind. »Du bist nicht allein«, sagte er.
Sie widersprach nicht mehr. »Ich gehe jetzt«, sagte sie schließlich. »Wann reitest du weg?«
»Wenn es dämmert.«
Sie nickte und lächelte schwach. »Vergiß mich nicht.« Sie band sich nach Art der Russinnen einen leuchtendroten Schal um den Kopf und ging.
Der Himmel war von einem wundervollen Blaßblau, als Andrej früh am Morgen Russka verließ und in südlicher Richtung davonritt. Nach zwei Meilen passierte er eine große Wiese, und da sah er die junge Frau mit ihrem roten Schal auf der anderen Seite stehen. Er überlegte, ob er zu ihr hinreiten solle, doch er tat es nicht. Als er einmal zurücksah, stand sie immer noch da, ein winziger roter Fleck in dem weiten Grün, eine einsame Gestalt in der endlosen Ebene. Sie sah ihm nach, bis er verschwand.
Andrej ritt weiter nach Süden. Bald würde er die Steppe wiedersehen und strohgedeckte Hütten und wogende Weizenfelder. Wie seltsam und widersprüchlich dieses Russka doch war! Nun, da er es verließ, heiterte sich sein Gemüt auf.
Freiheit – ja, das war es. Das Leben war schön. Andrej befühlte stolz seinen Schnurrbart – ein echter Kosakenschnurrbart. Seine weiten Kosakenhosen flatterten in der morgendlichen Brise, als er dem Pferd die Sporen gab.
Peter
1653
In der russischen Geschichte hatte es immer vereinzelt Warner gegeben, die sagten, daß Rußlands Tage gezählt seien. Doch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, einer Zeit wichtiger Entwicklungen, waren viele davon überzeugt, daß die Apokalypse und das Erscheinen des Antichrist bevorstünden. Dazu muß gesagt werden, daß sich Ereignisse im Zentrum eines großen Reiches rasch abwickeln und
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