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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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etwa in seinem Alter, hatte ein hübsches, ebenmäßiges Gesicht mit hellen Sommersprossen. Er konnte nur ihren schmalen Oberkörper sehen. Ein reizvolles Mädchen, dachte er. Sie beobachtete ihn. Er lächelte ihr zu, sie lächelte ebenfalls und zog sich dann rasch vom Fenster zurück.
    Es war vielleicht nicht der reine Zufall, daß Andrej am nächsten Tag über den kleinen Markt in der Nähe von Nikitas Wohnung schlenderte. Bald kamen das Mädchen und ihre Mutter des Weges. Andrej bemerkte, daß diese entgegen Nikitas Aussage so gut wie gar nicht hinkte.
    Als sie ihn sahen, grüßten sie höflich. Beim Näherkommen stellte er fest, daß das eine Auge des Mädchens blau zugeschwollen war.
    Andrej verwickelte die ältere Frau in ein Gespräch, was sie offensichtlich genoß. Dabei hatte er Gelegenheit, das Mädchen ausgiebig zu mustern. Sie hatte etwas Fröhliches, Leichtfüßiges an sich, das ihn an Anna erinnerte. Er versuchte, der älteren Frau zuzuhören. Plötzlich stutzte er. Die Frau hatte gerade erzählt, daß sie aus einer Stadt in Russka stamme.
    Er fragte sie nach Einzelheiten, und sie beschrieb den Ort. Es gab keinen Zweifel: Der Besitz seines neuen Freundes war zweifellos der Hof, von dem sein Großvater Karp einst geflüchtet war. Lächelnd dachte Andrej, daß er selbst, hätte der Großvater das nicht getan, jetzt einer der Bauern aus Russka sein könnte und nicht ein Kosak, der von Nikita in sein Haus eingeladen wurde. Schließlich verabschiedeten sie sich. Andrej hatte wohl bemerkt, daß auch das Mädchen ihn interessiert betrachtet hatte. Er war daher nicht weiter verwundert, daß er ihr am folgenden Tag in der Nähe seiner Wohnung auf der Straße begegnete. Sie trat lächelnd auf ihn zu. Trotz der dunklen Stelle um das Auge sah sie fröhlich, sogar strahlend aus.
    »Ach, Herr Kosak, darf ich mit Euch gehen?« Die meisten Frauen auf der Straße gaben sich sehr zurückhaltend. Selbst wenn sie einen Kopfputz trugen, schlangen sie noch einen Schal darüber, den sie unter dem Kinn verknoteten. Doch trotz ihres Schals und des langen, fadenscheinigen Umhangs war etwas in ihrem leichten, fast tänzelnden Schritt, der ihn an die freien, selbstbewußten Mädchen des Südens erinnerte. »Nennt mich doch Marjuschka«, sagte sie. Das war die Koseform von »Maria«.
    »Nun, Marjuschka, erzählt mir etwas von Euch. Warum habt Ihr ein blaues Auge?«
    Sie lachte. »Das müßt Ihr eine verheiratete Frau niemals fragen«, antwortete sie, dann fuhr sie mit einem Seufzer fort: »Man sagt, es liege an meinem Charakter.« Ihre Geschichte war kurz, aber ungewöhnlich. Als sie jünger war, wollte sie nicht heiraten. »Es gab einen Jungen in Russka«, sie lachte wieder, »der sah gut aus! Aber er heiratete eine andere. Er wollte mich nicht. Und die anderen Jungen – na ja… Meine Mutter redete jeden Tag auf mich ein: Heirate diesen, heirate jenen. Ich sagte: Nein, der ist zu klein. Nein, der ist zu groß. Also sagte sie, ich sei ein böses Mädchen.«
    »Da habt Ihr den Verwalter geheiratet? Den Mann, den ich bei Bobrov gesehen habe?«
    »Seine Frau ist gestorben. Er sagte meiner Mutter, er werde mich schon zähmen.«
    »Ihr habt Euch nicht geweigert?«
    »Doch. Aber er ist der Verwalter. Er hätte uns das Leben zur Hölle machen können. So ist das eben. Ich habe geheiratet. Ich war schon alt, wißt Ihr. Fast zwanzig.«
    »Und er schlägt Euch?«
    Sie zuckte die Achseln. »Das gehört zum Verheiratetsein. Er schlägt mit der Faust. Manchmal entkomme ich ihm, aber er ist sehr schnell.«
    Andrej hatte gehört, daß die Frauen in Nordrußland von ihren Männern sehr schlecht behandelt werden. Die Kosakenmädchen hatten unter so etwas nicht zu leiden.
    »Was sagt denn Eure Mutter dazu?«
    »Zuerst hat sie gesagt: Gehorche ihm, und sei nicht eigensinnig, dann schlägt er dich nicht. Dann sagte sie: Du mußt alles tun, damit er dich liebt. Du mußt Kinder bekommen.« Das Mädchen zuckte wieder die Achseln. »Wißt ihr, was sie jetzt sagt? Sie sagt: Männer sind abscheulich, aber dagegen kann man nichts machen.«
    »Und wie seid Ihr nach Moskau gekommen?«
    »Ach, ich habe ihn hinters Licht geführt. Er mußte unserem Herrn die Pacht abliefern. Also habe ich gesagt: Nimm mich mit nach Moskau, und ich tue alles, was du willst. Als wir dann hier waren, habe ich zu meiner Mutter gesagt: Du mußt mich hierbehalten. Ich ertrage es nicht länger. Also hat sie so getan, als habe sie ihren Fuß verletzt, und der Herr hat meinen Mann ohne

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