Russka
froh, daß er das tut.«
»Woher bekommt der Onkel das Geld?«
»Frag nicht!«
Die Familie des Onkels war gut zu Arina, und diese machte sich auf jede Weise nützlich. Sie bereitete die Mahlzeiten in dem großen irdenen Topf vor, der die Nacht über auf dem Herd stand. Sie pökelte die Lebensmittel für die langen Winter ein. Außerdem fertigte sie hübsche Stickereien an.
Verglichen mit ihren Eltern sah sie erstaunlich reizlos aus. Von Andrej hatte sie zwar das schwarze Haar und von ihrer Mutter anmutige Bewegungen geerbt – aber das war auch schon alles. Ihr Gesicht war blaß, die Nase zu lang. Sie schielte ein wenig, und am Kinn hatte sie eine Warze. Den Mangel an körperlicher Schönheit machte Arina allerdings wett, wenn sie ihr bezauberndes Lächeln lächelte.
Elena hatte sie streng religiös erzogen. Großmutter und Enkelin fehlten bei keinem Gottesdienst, der in der Umgegend abgehalten wurde. Vor jeder Ikone zündeten sie Kerzen an und sprachen Gebete.
Arina sang vor allem mit großer Freude in der kleinen Holzkirche in Sumpfloch. Als sie fünfzehn Jahre alt war, hatte sie eine wundervolle Altstimme. Der Priester sagte oft: »Sie ist unsere Nachtigall.«
Es war nur gut, daß Arina von Natur aus fromm und demütig war, denn die Großmutter sagte ihr mit schonungsloser Offenheit: »Du wirst wohl niemals heiraten.«
Arina sah das ein. Wegen des Krieges mit Polen trafen in der Gegend um Russka fünf Frauen auf jeden Mann. »Da wirst du sicher ohne Mann bleiben«, sagte Elena.
Als kleines Mädchen hatte Arina sich häufig Gedanken über ihre Mutter gemacht und die Großmutter befragt. Und die alte Elena sprach gern von Marjuschka. Sie hatte ihre Tochter geliebt und schwärmte ihrer Enkelin vor, wie schön ihre Mutter gewesen sei. Arina fand heraus, daß das eigentliche Vergehen ihrer Mutter nicht ihre Affäre mit dem Kosaken gewesen war, sondern ihre Halsstarrigkeit.
»Der Verwalter wußte nicht, daß er nicht dein Vater war, weißt du«, erklärte Elena. »Er hätte es auch nie erfahren müssen. Doch immer wenn er sich über etwas ärgerte, schlug er mit der Faust auf Marjuschka ein«, meinte Elena traurig. »Sie hätte es hinnehmen müssen wie die meisten Frauen, aber eines Tages ging ihr das Temperament durch. Sie sagte ihm, was sie von ihm hielt und daß er nicht dein Vater sei. Am nächsten Morgen war sie dann auf und davon. Nicht einmal mir hat sie Lebewohl gesagt.« Nach Marjuschkas Verschwinden erklärte der Verwalter ohne Umschweife, daß Elena sich nun um ihn und das Kind zu kümmern habe. Elena hatte eingewilligt.
Selbst da noch war man im Ort der Ansicht, die wilde Marjuschka sei wegen der Roheit ihres Mannes davongelaufen, und niemand hätte je etwas von dem Kosaken erfahren, hätte der Verwalter nicht selbst im Zustand der Trunkenheit die Sache ausposaunt. »Kommt sie zurück?« frage Arina manchmal voller Hoffnung. Elena war überzeugt, daß Marjuschka tot sei. Bestenfalls hatte man sie aufgegriffen und sie einem Landbesitzer als Leibeigene gegeben. »Nein, sie kommt nicht zurück«, antwortete Elena jedesmal bitter.
Seit einigen Jahren hatten die Dorfbewohner Arinas Eltern anscheinend vergessen. Und Arinas Leben war ruhig verlaufen. Nun aber war Stenka Razin im Anzug. Es hatte schon vorher ähnliche Aufstände gegeben, und es sollten auch in Zukunft welche stattfinden, aber um keinen Aufstand in der russischen Geschichte ranken sich so viele Legenden wie um Stenka Razins Erhebung im Jahre 1670.
Sie hatte ihren Anfang unter den Don-Kosaken genommen, deren demokratische Lebensweise zusammengebrochen war, und eine neue Klasse reicher Kosaken hatte sich herausgebildet, die sich wenig um ihre ärmeren Brüder scherten. Diese armen Kosaken und Bauern scharten sich gegen 1665 erstmals um einen kühnen Anführer, eben jenen Stenka Razin.
Aus einzelnen Übergriffen wurde bald ein Aufstand, der zu einer regelrechten Rebellion anwuchs. Indem Razin dem Volk freie Versammlungen in der althergebrachten Art der Kosaken versprach, nahm er an der Wolga eine Stadt nach der anderen im Sturm. Im Sommer 1670 war mehr als die Hälfte Südostrußlands in der Hand der Rebellen, und es sah so aus, als würden sie nach Moskau und in das russische Herzland vordringen.
Jetzt erinnerte man sich im Dorf wieder an Arinas Vater. Wochenlang mußte sie Hänseleien über sich ergehen lassen. Dann plötzlich war wieder Ruhe. Im Frühherbst schlug eine Armee des Zaren die Rebellen nieder. Der Volksheld floh zurück an
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