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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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mitgebracht hatte, und ein feines goldenes Armbändchen mit einem großen Amethyst. »Gib dies alles dem Mädchen, wenn es heiratet.« Elena nahm beides wortlos entgegen. »Leb wohl«, sagte sie mit rauher Stimme.
    Er blickte verlegen auf sie hinunter. »Es tut mir leid«, sagte er schließlich.
    »Du mußt jetzt weiter, Kosak.« Ihre Stimme war voller Verachtung. Andrej gab ihren verdrossenen Blick zurück. Einen Augenblick lang war er verärgert über das Wort »Kosak«, und wie sie es ausgesprochen hatte. Darf eine russische Bäuerin mich verachten? dachte er gereizt.
    Die alte Elena hatte seine Gedanken erraten, denn sie fuhr fort: »Weißt du, Kosak, was der Unterschied zwischen dir und einem russischen Mann ist?« fragte sie leise. »Du kannst einfach wegreiten.« Sie spuckte auf den Boden. »Der Verwalter betrinkt sich und verprügelt Marjuschka. Du machst ihr ein Kind und reitest in die Steppe. Wir Frauen leiden und bleiben, wie die Erde. Ihr trampelt auf uns herum, aber ohne uns wäret ihr nichts.« Dann zuckte sie die Achseln. »Gott hat gemacht, daß wir euch brauchen; aber weil wir sehen, was wir sehen, verachten wir euch.« Andrej nickte. Er hatte verstanden. Es war die ewige Stimme der russischen Frauen.
    Er saß wieder auf und ritt wortlos davon. Er glaubte nicht, daß er seine Tochter jemals sehen werde. Er hatte nicht einmal nach ihrem Namen gefragt.
    Elena erzählte Arina nie vom Besuch ihres Vaters, doch das Geld und das Armband versteckte sie sorgfältig unter den Fußbodenbrettern. Als die Jahre vergingen und sie sah, wie unscheinbar das Mädchen war, dachte sie: Das arme Ding wird ohnehin nie heiraten. Da braucht sie auch keine Mitgift. So gab sie das Geld ihrem Sohn, und der bestach damit den Verwalter.
    1677
    Arina war dreiundzwanzig und noch nicht verheiratet. Die Pubertät hatte sie nicht reizvoller gemacht – im Gegenteil: Als Frau sah sie noch unscheinbarer aus. Die Warze an ihrem Kinn wurde größer. Dies ist Gottes Art, so sagte sie sich, mir in seiner unendlichen Weisheit deutlich zu machen, daß ich immer ein bescheidenes Leben führen muß. Sie betete täglich, machte sich nützlich. Sie hatte keine Feinde, nur eine geheime Angst – daß man ihr die Kirche nehmen könnte.
    Diese Angst war nicht unbegründet, denn Arina gehörte zu den raskolniki.
    Das Schisma hatte sich, wie es für derlei Landgemeinden typisch war, in Russka nur allmählich durchgesetzt. Erst nach zwei Jahren erreichten die neuen Gebetbücher des Patriarchen das Kloster, und sogleich ließ der Abt sie in seinem Zimmer verschwinden. Die Mönche erfuhren lange Zeit nichts davon. In mancher Hinsicht bewunderte der Abt den Patriarchen Nikon durchaus und hielt ihn für einen hervorragenden Kirchenmann. Doch er hatte auch Freunde in der Gruppe, die sich den Reformen entgegenstellten und gegen Nikons eigenmächtiges Vorgehen opponierten, und mißtraute den ukrainischen und anderen Gelehrten, die Nikon nach Moskau gerufen hatte – für seinen Geschmack waren sie allzu katholisch.
    Und so blieb er lieber seinen alten Grundsätzen treu, in persönlicher und liturgischer Hinsicht, und ließ die Mönche in dem kleinen Kloster St. Peter und Paul den Gottesdienst weiterhin nach dem gewohnten Ritus abhalten und sich nach dem alten Schema bekreuzigen.
    Aber auf Dauer war es doch nicht zu vermeiden, daß auch die ahnungslosen Mönche in dem abgelegenen Winkel von der neuen Form der Messe erfuhren und den Abt fragten, was zu tun sei. Und der beschied zunächst: »Wenn Nikita Bobrov oder ein einflußreicher Kirchenmann das Kloster besucht, wird der Gottesdienst auf die neue Weise gefeiert, ansonsten bleiben wir bei der alten Form.« Diese Regelung galt bis zum Landeskonzil von 1666. Von jenem Zeitpunkt an konnte man selbst im Kloster in Russka der Sache nicht länger ausweichen. Widerwillig befolgte auch der Abt die neuen Regeln. Alle gehorchten.
    Nur in Sumpfloch nicht. Doch davon wußte andernorts niemand. Und falls der Abt doch einen Verdacht hatte, so sagte er jedenfalls nichts. Nikita Bobrov, der Besitzer des Ortes, hatte keine Ahnung. Die ansässigen Bauern wußten es, aber mit wem hätten sie darüber sprechen sollen? Die kleine Gemeinde wurde von dem Priester Silas geleitet. Er war ein stiller Mensch. Sein Urgroßvater war der Priester Stefan gewesen, den Ivan der Schreckliche hatte umbringen lassen. Silas' nachdenkliches Gesicht und seine ernsten blauen Augen erinnerten an seinen Vorfahren; er war allerdings nur

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