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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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hohen Gras, wo die Glühwürmchen in der Dunkelheit aufleuchteten. Sie sahen den Fluß im Mondlicht schimmern. Die Dorfbewohner hatten ihm den Namen gegeben, den sie von den gefürchteten Reitern der Steppe übernommen hatten. Denn die Slawen wußten wohl, daß die größten Alanen sich in ihrer iranischen Sprache als »Rus« bezeichneten, was »licht« oder »leuchtend« bedeutete. Und da für das slawische Ohr dieses Wort einen angenehmen Klang hatte und von der Bedeutung her gut zu Fluß paßte, hatten sie den schimmernden Wasserlauf »Rus« genannt. Der Weiler daneben hieß demnach »Russka«. Die Nacht war still. Das Flüßchen leuchtete, war in Bewegung und bewegte sich doch nicht. Sie legten sich ins Gras. Hoch oben im sommerlichen Sternenhimmel zogen ab und zu blasse Wolken vorüber und warfen das Licht des zunehmenden Mondes zurück; im Wald bewegten sich Bär und Fuchs, Wolf und Feuervogel zwischen den Schatten, und irgendwo in der Weite der Steppe hatten Reiter neben ihrem Feuer ihr Lager aufgeschlagen. Doch das einzige, was Lebed hörte, war das Flüstern im Laub, als der Wind leise übers Land strich.

Der Fluß
    1066
    Im Monat Januar erschien ein furchtbares Zeichen am Himmel. Es war in ganz Europa zu sehen.
    Im angelsächsischen Königreich, das bedroht war von der Invasion Wilhelms, des Herzogs der Normandie, wurde die Erscheinung in den Chroniken mit düsterer Vorahnung festgehalten. Auch in Frankreich, Deutschland, rund ums Mittelmeer, in Osteuropa und in den neugebildeten Staaten Polen und Ungarn beherrschte der schreckliche Komet die Nächte. Selbst im östlichen Grenzland, wo Wald und Steppe zusammentreffen und der breite Dnjepr zum Schwarzen Meer fließt, hing das große rote Mal Nacht für Nacht über der weißen, stummen Landschaft, und die Menschen fragten sich bang, welch neues Übel nun über die Welt kommen werde. In den neun turbulenten Jahrhunderten seit den Tagen Trajans und Mark Aurels hatte sich die westliche Kultur in einer Reihe folgenschwerer Ereignisse verändert. Das spätere sogenannte Mittelalter war angebrochen. Rom war christlich geworden und bald darauf, nun in einen westlichen und einen östlichen Teil mit den Hauptstädten Rom und Konstantinopel gespalten, unter dem Druck gewaltiger barbarischer Invasionen zusammengebrochen. Aus der Mongolei oberhalb der Chinesischen Mauer waren die Eindringlinge von Osten her gekommen, hatten die große Bergkette im Süden überwunden und waren hinunter in die Wüste und Steppe der ausgedehnten Eurasischen Ebene vorgedrungen. Diese Invasoren – manche hellhäutig, andere mit mongolischem Äußeren, die meisten sprachen türkische Dialekte – rannten alles nieder. So kamen Attila mit seinen Hunnen, die Awaren, schließlich die Türken. Es waren jedoch nicht eigentlich diese Invasionen, woran das Römische Reich zerbrach; es war die gewaltige Kettenreaktion der Abwanderungen, die sich durch den Einbruch in die osteuropäischen Stämme auslösten.
    Am Ende dieses Prozesses war die alte Welt zerschlagen. Lediglich im östlichen Mittelmeerraum und am Schwarzen Meer blieb etwas von der alten Ordnung bestehen. Denn hier, nördlich Griechenlands und an der schmalen Wasserstraße, die das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbindet, stand das majestätische Konstantinopel, auch Byzanz genannt. Unbezwungen, Hüterin der antiken Kultur und des östlichen Christentums, mit eher griechischem als lateinischem Charakter, blieb Konstantinopel ungebrochen: eine Stadt, über die während des ganzen Mittelalters ein christlich-römischer Imperator herrschte, wenn auch nur nominell. Seit dem Jahre 622 begann sich der Islam mit aller Macht auszubreiten. Von Arabien aus überfluteten die moslemischen Armeen den Mittleren Osten, dann Persien und Indien, schließlich drangen sie westwärts über Nordafrika bis nach Spanien vor. Und noch viele Jahrhunderte hindurch sollte das christliche Europa vor dem Namen des Propheten Mohammed erzittern. Zuletzt kamen, zum Schrecken aller, die Wikinger. Als Piraten, Kaufleute, Siedler, Abenteurer eroberten diese skandinavischen Seefahrer ab etwa 800 einen Großteil Mittelenglands, errichteten Kolonien in Island, Grönland, erreichten selbst die nordamerikanische Küste.
    Eine Gruppe schwedischer Wikinger machte sich nach der Gründung von Handelsniederlassungen rund um das Baltische Meer auf den Weg hinunter zu dem Flußsystem des großen östlichen Hinterlandes, des Landes der Slawen.
    Waräger wurden diese Nordmänner

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