Russka
kleinen Jungen im Arm setzte er zum Galopp über die Steppe an.
Als Kiy verwirrt um sich sah und sich an der Mähne des herrlichen Tieres festklammerte, sagte der Alane zu ihm in slawischer Sprache: »Höre, kleiner Junge, du kehrst in dein Dorf zurück, aber dein Leben lang wirst du erzählen können: Ich bin auf Trajan geritten, dem edelsten aller Pferde der strahlenden Alanen.« Der kleine Junge hatte nie in seinem Leben eine so freudige Erregung verspürt.
Und Lebed, die ohne Hoffnung über die leere Steppe blickte, sah plötzlich, als wäre Trajan der Gott des Windes selbst, wie das Pferd gleichsam im Flug auf sie zukam. Ohne ein Wort ließ der Alane das Kind vor ihr zu Boden gleiten, wandte sich um und ritt in die schimmernde Steppe hinaus.
Ungläubig drückte Lebed das Kind an sich, das sich fest an sie klammerte. Plötzlich wandte es sich in ihren Armen um, auf die schwindende Gestalt deutend, und rief: »Ich will mit ihnen gehen.«
Lebed zog ihn fester an sich, damit er ihr nicht doch noch genommen würde.
Sie kehrte nicht sofort ins Dorf zurück. Statt dessen ging sie an einen stillen Platz am Fluß. In der Nähe stand eine heilige Eiche. Hier stattete Lebed ihren Dank ab. Sie wollte jetzt allein mit ihrem Kind sein. Nach dem Gebet setzte sie sich in den Schatten und sah Kiy zu, wie er am Wasser spielte.
Gegen Abend erreichten sie ihren heimatlichen Weiler. Das große Feld war abgeräumt. Die Ernte war eingebracht. An einer Ecke des Feldes stand dem Brauch nach eine Garbe Gerste als Gabe für Volos, den Gott des Wohlstands.
Als ersten sah Lebed ihren Mann. Sein Gesicht leuchtete vor Freude, als er den Jungen hoch über seinen Kopf hob; auch die Schwiegermutter kam aus der Hütte und nickte ihr kurz zu. »Ich habe ihn gefunden«, erzählte sie. Dann erzählte sie von den Reitern, und vor dem Dorfältesten mußte sie ihren Bericht wiederholen.
»Wenn sie noch einmal kommen sollten«, sagte der Älteste bedächtig, »ziehen wir weiter nach Norden.« Die kleine Gemeinde war von Süden her an diese Stelle gekommen, damit sie den Reitern der Sippe keinen Tribut zu entrichten brauchten. An diesem Tag jedoch gab es nur noch das Einbringen der Ernte zu feiern. Die Jungen und Mädchen schlugen Purzelbäume im Gras. Vor der Hütte des Ältesten legten Frauen letzte Hand an eine kleine Figur aus Gerstenhalmen. Sie stellte den Gott des Feldes dar und wurde an die Grenze zwischen Feld und Wald getragen. Erst jetzt, als die Dorfbewohner sich versammelten, trat Mal aus seiner Hütte. Er zögerte, als er Lebed und den Jungen sah. Doch Kiy lief auf ihn zu. »Ich habe den Bären gesehen«, rief er. »Ich habe ihn gesehen.« Mal errötete tief.
Als sie alle gemeinsam hinaus aufs Feld zogen, spürte Lebed, daß ihr Mann neben ihr ging. Seine Augen leuchteten voller Begierde wie die eines jungen Mannes, und plötzlich fühlte sie, wie er ihren Arm leicht drückte. Das war das Zeichen. In dieser Nacht würde er zu ihr kommen.
Während die Sonne allmählich hinter den Bäumen verschwand und die Schatten auf dem Feld länger wurden, fingen die Leute an zu singen und zu tanzen. Am Feldrain saßen wieder die drei babuschkas, die zu alt zum Tanzen und Singen waren, und sahen dem Treiben gelassen zu.
Nachdem ein Lied verklungen war, ging Lebed zu Kiy hinüber. Er saß auf dem Boden und dachte an sein Abenteuer in der weiten Steppe.
Da stand ihr Mann plötzlich vor ihr, sagte lächelnd und mit eindeutigem Blick über das Kind hinweg: »Heut nacht.« Nach Anbruch der Dunkelheit begann das Fest in der Hütte des Ältesten. Brennende Kienspäne gaben Licht, und der Pokal, bis zum Rand gefüllt mit schäumendem Met, ging zusammen mit der Schöpfkelle von Hand zu Hand. Und von jedem Gang – Fisch, Hirsebrot und Fleisch – wurde dem domovoj, der, so dachte man, unsichtbar anwesend war, eine Schüssel hingestellt. Nach dem Essen wurde weiter getrunken und getanzt. Kiy sah, wie seine Mutter ein rotes Tamburin nahm und vor seinem Vater tanzte. Er beobachtete das entzückt, bis sein Kopf schließlich auf die Brust sank und er einschlief. Von ihrem eigenen Tanz erregt, verspürte Lebed plötzlich Begierde nach ihrem Mann, doch noch tanzte und trank sie weiter.
Als die Männer und Frauen schließlich trunken in die Nacht hinaustaumelten, erlaubte Lebed ihrem Mann, den Arm um ihre Taille zu legen und sie hinauszuführen. Zwischen den Hütten und am Feld fanden sich die Paare zusammen. Die beiden gingen hinunter zum Fluß, vorbei am
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