Russka
Kettenhemd und sein spitzer Helm waren auf einem Bündel festgebunden, das, zusammen mit zwei langen Speeren, wie die Alanen sie bei ihren verheerenden Angriffen mit sich führten, bei den Wagen auf dem Boden lag. Um den Hals trug der Mann einen Ring aus Goldfäden, die in goldenen Drachenfiguren endeten. Um die Schultern lag ein wollener Umhang, zusammengehalten von einer großen, juwelenverzierten Spange.
Der Skythe war anders gekleidet. Kiy spürte an seinem Rücken die Gold- und Silberornamente, die auf das lederne Wams des Mannes genäht waren. Um den dunklen Arm, der den Jungen hielt, lag ein Armband, verziert mit phantastischen Göttern und Tieren. Kiy wußte nicht, daß diese wundervolle Arbeit griechisch war. Seine Augen schmerzten von dem Funkeln im Sonnenlicht. An einer Seite trug der Skythe einen Krummsäbel.
Noch großartiger und aufregender fand der zitternde Junge die Pferde. Obwohl er nur wenig von dem tiefschwarzen Pferd unter sich sehen konnte, spürte er doch seine ungeheure Kraft. Und was das Pferd anbetraf, auf dem der Alane saß – es hatte etwas Göttliches. Es war silbergrau, mit schwarzer Mähne, ein schwarzer Streifen zog sich den Rücken entlang bis hin zum schwarzen Schweif. Ein solches Geschöpf, dachte Kiy, wird nicht galoppieren, es wird fliegen.
Damit hatte er im Grunde sogar recht, denn es gab kein schnelleres Pferd im Stamm der Alanen. Das edle Tier hieß Trajan, nach dem römischen Imperator, dessen heldenhafter Ruf bis an die Küsten des Schwarzen Meeres gedrungen war und der selbst von den fernen Sarmaten als Nebengott angenommen worden war. Dreimal hatte das Pferd im Kampf das Leben des Alanen durch seine sichere Gangart gerettet. Als er einmal verwundet war, hatte sich das Pferd, das eingefangen worden war, losgerissen und sich auf die Suche nach seinem Herrn gemacht. Es hieß, der Alane liebe das Tier mehr als seine Frau. Die leichte Brise über der Steppe bewegte die kleinen Goldscheiben, die an Trajans Zügel hingen, und brachte sie zum Klingen. Auf jeder Scheibe war ein tamga eingraviert, ein Dreizack, das Emblem der Sippe.
Auch der Skythe sah zu dem Pferd hinüber. Die Väter der beiden Männer hatten als Söldner für Rom gekämpft. Der Skythe und der Alane waren als Kinder Blutsbrüder geworden. Kein Band war heiliger – es durfte nie zerrissen werden. Lange Jahre waren sie zusammen umhergezogen, hatten Seite an Seite gekämpft. Der Skythe hätte sein Leben für seinen Freund gegeben. Doch immer wenn seine harten Augen auf Trajan ruhten, bekamen sie einen seltsam verträumten Ausdruck. Wenn er nicht mein Bruder wäre, dachte er jetzt, würde ich ihn und hundert andere töten für ein solches Pferd. Laut aber sagte er: »Lasse mich zwei unserer Männer nehmen, mein Bruder, das Dorf überfallen und dir dann folgen. Morgen früh bei Sonnenaufgang habe ich dich eingeholt.« Der Alane streichelte den Hals seines Pferdes liebevoll. »Erbitte dies jetzt nicht von mir, Bruder«, antwortete er. Der Skythe schwieg. Beide Männer wußten, daß der Alane seinem Blutsbruder nichts abschlagen konnte – kein Geschenk, kein Gefallen, kein Opfer könnte je zu groß sein. Doch ein Blutsbruder mißbrauchte sein Recht nicht. Er wußte, wann er Fragen stellen durfte. Und so neigte der dunkle Mann den Kopf, und es war, als hätte er den Überfall auf das Dorf nie vorgeschlagen. Da blickte der Kleine Kiy über die Steppe hin und schrie laut auf: Lebed kam in der Hitze des Tages auf sie zu. Das fahle Gras streifte hart ihre nackten Beine. Sie wußte nicht, ob man sie nun töten würde, aber sie hatte ja nichts zu verlieren. Die beiden Männer sahen ihr unbewegt entgegen.
Kiy versuchte instinktiv, sich loszumachen, doch der Arm des Skythen hielt ihn eisern. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß ihn diese fremden, schrecklichen Reiter seiner Mutter nicht zurückgeben könnten.
»Kleiner Kiy!« rief sie. Er antwortete ihr. Warum nahmen die Reiter denn gar keine Notiz von ihr?
Lebed sah in die harten Augen der beiden, in die dunklen des einen, in die blauen des anderen. Sie war noch etwa zehn Schritte von ihnen entfernt. Da sah sie, daß auch einige Männer und die Pferde bei den Wagen sie neugierig beobachteten. Lebed blieb breitbeinig stehen, verschränkte die Arme und blickte die beiden Reiter an. Der Alane kannte einige slawische Wörter. Er fragte: »Was willst du?«
Lebed sah ihren Sohn auf dem Rappen des Skythen an und antwortete nicht.
»Geh zurück in dein Dorf. Der Junge
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