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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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er brauchte sich nicht gegen die Aufklärung zu verteidigen. Statt dessen wiederholte er die Ansichten, die er hier beim letztenmal dargelegt hatte, Punkt für Punkt, und fügte nach jeder Feststellung ein: »Aber Alexander Prokofievitsch stimmt mir nicht zu, das weiß ich.« Der alte Knabe hatte Bobrov genau dort, wo er ihn haben wollte. Jedesmal wenn er Alexander aufforderte, die Partei der Gräfin Turova zu ergreifen, gab er ihm gleichzeitig Gelegenheit, sich gegen die Regierung zu stellen. Alexander vermutete, daß der General mit Freuden jede seiner Behauptungen wortwörtlich vor den höchsten Kreisen bei Hofe wiedergeben würde. Alexander wand sich, es war erniedrigend. Er versuchte sich um klare Aussagen zu drücken, um weder die Gräfin zu verärgern noch dem General Waffen in die Hand zu geben. Schließlich war er nur noch in Verteidigungsposition, und es gab Punkte, in denen er dem General zustimmte.
    Alexander merkte, wie die Gräfin nervös wurde. Sie warf ihm zuerst einen strengen Blick zu, dann trommelte sie mit den Fingern auf die Armlehne. Mit jedem Wortwechsel wurde sie starrer, bis sie sich schließlich in ein unheilvolles Schweigen zurückzog. Der General bewahrte sich den coup de gráce bis zum Schluß auf. Er spielte ihn mit der Lässigkeit dessen aus, der sich des letzten Stichs absolut sicher ist. »Die Aufklärung«, sagte er ruhig, »hat die Jakobiner hervorgebracht. Aber vielleicht hat Alexander Prokofievitsch etwas Gutes über diese Burschen zu sagen?«
    »Nein, das habe ich nicht«, erwiderte Alexander rasch. »Nun gut. Aber ebendiese Jakobiner haben jenen Monsieur Voltaire zu ihrem Helden erklärt, der sie, so behaupten sie, inspiriert habe. Wie Sie wissen, hat die Kaiserin Voltaire abgelehnt. Und Sie?« Die Falle war zugeschnappt. Während Alexander überlegte, was er antworten sollte, erklang die eisige Stimme der Gräfin: »Ja, Alexander Prokofievitsch, was möchten Sie über den großen Voltaire sagen?«
    »Ich bewundere ihn«, erklärte Alexander nach kurzer Pause, »genauso, wie die Kaiserin es tut. Was die Jakobiner betrifft: Sie sind eines so bedeutenden Mannes absolut unwürdig.« Es war eine diplomatische Antwort. Der General konnte nichts damit anfangen, und die Gräfin schien beschwichtigt.
    »Sehr schön«, sagte der General. »Da jedoch Voltaires Schriften solche Probleme verursacht haben – wäre es nicht sinnvoller, sie aus der Reichweite dieser gefährlichen Herren zu bringen?«
    »Den großen Voltaire zensieren?« fuhr die Gräfin dazwischen. »Vielleicht beschließt die Kaiserin, seine Schriften zu verbrennen, meine liebe Gräfin. Zweifellos wäre Alexander Prokofievitsch damit nicht einverstanden, nicht wahr?«
    Entsetzt blickte die Gräfin von einem zum anderen. »Undenkbar!« murmelte sie.
    So undenkbar war das tatsächlich nicht. Erst wenige Tage zuvor hatte ein Freund, der häufig bei Hofe war, Alexander zugeflüstert, die Feinde der Aufklärung arbeiteten insgeheim bereits auf ein derart schreckliches Vorhaben hin. »Und bei der augenblicklichen Gemütsverfassung der Kaiserin bekommen sie wohl ihren Willen«, hatte der Mann gemeint. »Noch vor Jahresende dürfte Voltaire verboten sein.«
    Der General nahm an, Alexander wisse davon nichts. Eine öffentliche Verurteilung des Vorhabens war alles, was er brauchte; damit würde Alexander als Feind der Regierung gelten. »Ich bin ein treuer Diener der Kaiserin«, antwortete Alexander lahm.
    Der General zuckte die Achseln. Die Gräfin stieß einen kleinen Seufzer aus, dann herrschte unheilvolle Stille, bevor sie sprach: »Es ist interessant zu erfahren, Alexander Prokofievitsch, daß Sie für die Verbrennung von Voltaires Schriften sind. Das wußte ich bisher nicht.« Sie blickte nachdenklich auf ihre Hände. »Sicher werden Sie schon von Ihrer Gattin erwartet. Wir wünschen Ihnen eine gute Nacht.«
    Damit war er entlassen. Er verneigte sich und verließ den Raum. Als Alexander das nächstemal bei der Gräfin seine Aufwartung machte, hieß es, daß sie heute nicht empfange. Zwei Tage danach wollte Tatjana ihren üblichen Besuch machen und erhielt die Auskunft, die Gräfin sei nicht zu Hause. Ein drittes Mal erklärte der Diener an der Tür klipp und klar, Alexanders Besuche seien nicht länger erwünscht. Am selben Tag erhielt er eine inhaltsschwere Nachricht von Adelaide de Ronville:
    Ich muß Ihnen mitteilen, lieber Freund, daß die Gräfin es ablehnt, Sie zu empfangen. Sie hat ihren Worten nach auch vor, Sie aus

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