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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ihrem Testament zu streichen. Ich kann in dieser Hinsicht nichts tun. Sie sollten aber wissen, daß ihr Anwalt, der sich in Moskau aufhält, in drei Tagen zurückkehrt. Wenn sie ihre Absicht bis dahin nicht ändert, wird sie ihn unverzüglich kommen lassen. Ich fürchte das Schlimmste.
    Alexander starrte das Schreiben in dumpfem Entsetzen an. Damit war das Erbe seiner Kinder verloren. Er kannte die alte Dame gut genug, um zu wissen, daß sie ihre Meinung nicht ändern würde. Er hatte ihr Idol beleidigt; es war das einzige, was sie noch interessierte. Er zeigte Tatjana den Brief und sagte voller Reue: »Da siehst du, was dein törichter Mann getan hat.«
    Sie wollte nicht, daß er die Schuld allein bei sich suchte. »Die alte Frau ist verrückt«, sagte sie entschlossen. Alexander umarmte sie. Sie waren einander viel näher als früher.
    Was blieb zu tun? Zuerst einmal schrieb Alexander der Gräfin einen Brief. Er kam ungeöffnet zurück. Am nächsten Tag schrieb Tatjana; das gleiche geschah. Am folgenden Morgen traf sehr früh eine Nachricht von Adelaide ein.
    Ich habe mich erneut für Sie eingesetzt – es war vergebens. Sie ist unbeugsam. Der Anwalt ist für morgen bestellt. Wenn ich irgend etwas tun kann – ich bin den ganzen Abend bei den Ivanovs. Dort können Sie mich finden.
    Alexander seufzte. »Ich fürchte, wir haben verloren«, meinte er traurig zu Tatjana. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, um nachzudenken. Aber nicht einmal in dieser Krise verzweifelte er. Wenn das Erbe verloren war, mußte er sich auf andere Weise Geld beschaffen. Über diesem schwerwiegenden Gedanken verging der ganze Vormittag. Seine Ziele waren bescheiden, die Tage des Spielers Bobrov längst vorbei. Er wollte seine Schulden zurückzahlen und etwas Geld beiseite legen. Darüber würden Jahre verstreichen, und es würde manchmal erniedrigend sein, aber das war ihm gleichgültig. Er wollte das sogleich in Angriff nehmen. Mittags verließ er sein Zimmer, küßte seine Frau und ließ seine schönste Kutsche mit den besten Pferden kommen. Er wollte Kaiserin Katharina in ihrem Sommerpalais aufsuchen. Am frühen Nachmittag bestiegen Tatjana und ihre Kinder ohne Wissen Alexanders eine Mietkutsche und fuhren über die Neva zur Vassiljev-Insel. Als sie am Haus der Gräfin Turova ankamen, wandten sie sich allerdings nicht dem Haupteingang zu. Der Entschluß war Tatjana nicht leichtgefallen. Sie hatte sich jedoch überlegt, daß sie nur über die Französin Zugang zur Gräfin erreichen könne. Wenn sie erst einmal im Haus war, würde die Gräfin sie sicher empfangen, und der Anblick der Kinder würde sie besänftigen. Dann konnte Tatjana alles erklären. So sah sich die überraschte Adelaide de Ronville drei kleinen Kindern und deren Mutter gegenüber, die schlicht erklärte: »Wir sind in Ihren Händen.«
    »Mon Dieu!« Adelaide blickte die Kinder an – Alexanders Kinder, dann diese starke Frau, ihre Mutter. Da plötzlich durchzuckte sie ein Gefühl von Verlust und Einsamkeit. »Warten Sie hier«, sagte sie. »Ich will nichts versprechen, aber ich sehe, was ich tun kann.« Sie blieb einige Zeit fort. Inzwischen sah sich Tatjana neugierig um. Sie stellte fest, daß die raffinierte Einrichtung des Salons ein gewisses Etwas hatte, das ihre eigenen Räume nie haben würden. Das war es wohl, was Alexander liebte. Sie wartete fast eine Stunde. Adelaide kehrte mit betrübtem Gesicht zurück. »Es tut mir leid, aber sie will Sie nicht empfangen.«
    Der riesige Park mit der kaiserlichen Sommerresidenz lag nicht weit von St Petersburg in südwestlicher Richtung. Alexander hatte ihn in knapp zwei Stunden erreicht. Er liebte diesen Ort. Wenn überhaupt etwas die kosmopolitische Ära des 18. Jahrhunderts in Rußland symbolisierte, war es dieses Bauwerk. Wie das große Winterpalais war es von dem berühmten Architekten Bartolomeo Rastrelli in der Regierungszeit der Kaiserin Elisabeth entworfen worden. Es war das russische Versailles. Die mit Ornamenten geschmückte Rokokofassade war im Mittelteil drei Stockwerke hoch und erstreckte sich über eine Breite von fast dreihundert Metern. Im Innern mischte sich europäische Eleganz mit russischem Prunk. Ausladende Hallen zeigten vielfarbigen Marmor, Räume waren mit Jaspis und Achat verziert; es gab sogar, einmalig in der Welt, einen Raum, dessen Wände ganz aus Bernstein gefertigt waren. Und überall sah man das von Rastrelli bevorzugte Gold, mit Alabaster, Lapislazuli, Tiefrot und leuchtendem Blau

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