Russka
abgesetzt.
»Staatskanzler Bobrov.« Er wurde sofort hereingebeten und trat auch beherzt ein. Doch er konnte sich eines demütigenden Gefühls nicht erwehren, als er durch die hohen goldenen Hallen schritt. Eine längst beschwichtigte innere Stimme schien zu sagen: Das hätte dir gehören können – nicht ihm! Der Mann, den Alexander aufsuchen wollte, war der junge Platon Zubov, der neue Liebhaber der Kaiserin. Die Position, die Bobrov einmal angestrebt hatte, gehörte nun einem gutaussehenden jungen Mann Anfang Zwanzig – töricht, oberflächlich und ehrgeizig. Keiner mochte ihn, doch der gesamte Hof spürte, und vielleicht wußte es die alternde Kaiserin auch, daß dieser junge Liebhaber wohl ihr letzter sein würde. Alexander hatte sich seit langem um die Gunst dieses jungen Menschen bemüht; das war alles andere als angenehm gewesen. Vor kurzem hatte er die Chance gehabt, Katharinas Günstling sehr nützlich zu sein, und er hoffte, daß sich dieser nun zu Dank verpflichtet fühlte.
Der Pavillon, in dem der junge Mann hofhielt, war in Verbindung mit einer langen Galerie an einem Ende des Palais von Katharinas schottischem Architekten Cameron errichtet worden, und zwar im Stil eines prunkvollen römischen Palastes mit einem römischen Badehaus im Untergeschoß. Vor dem Eingang zu einem der Räume hatte sich eine Gruppe von Menschen versammelt: ehrwürdige Höflinge, reiche Landbesitzer, wichtige Militärs. Als sich die Tür öffnete, drang lautes Gelächter heraus.
Alexander mußte nur eine Stunde warten, ehe er eingelassen wurde. Der prächtige Raum war im pompejanischen Stil gestaltet und enthielt schwere Möbel nach römischem Vorbild. Der junge Zubov stand lächelnd inmitten einer Menschenmenge und hatte sich heute mit einer römischen Toga bekleidet. Er hielt einen Affen an der Hand.
»Mein lieber Alexander Prokofievitsch!« Seine großen Augen blickten ebenso überrascht wie erfreut beim Anblick des bescheidenen Staatskanzlers. »Was führt Sie hierher?«
Der Augenblick war gekommen. »Ich wollte Sie natürlich zu Ihrem Triumph in Polen beglückwünschen«, antwortete Alexander. Zubov strahlte ihn zufrieden an.
Wie der große Potemkin Katharina die Krim verschafft hatte, so beabsichtigte der junge Zubov seinen Namen mit einem weiteren wichtigen Zuwachs des russischen Imperiums zu verbinden. Das Schicksal hatte ihm Polen beschert.
Rußlands ehemaliger Rivale wurde immer noch von dieser Ansammlung von Magnaten regiert, die, nachdem sie einen König gewählt hatten, jede Aktivität durch das Veto eines einzigen Mitglieds vereiteln konnten. Polens Schwäche kam Rußland sehr gelegen. Zwanzig Jahre zuvor war es Katharina gelungen, sich unauffällig ein weiteres Stück aus seinen Grenzländern zu schnappen und ihren ehemaligen Liebhaber als Marionettenkönig wählen zu lassen. Welche Torheit hatte die Polen aber ein Jahr zuvor dazu gebracht, eine neue Verfassung zu proklamieren, die neben anderen Neuerungen eine erbliche konstitutionelle Monarchie vorsah? Der König war töricht genug, diese Regelung zu bestätigen. Nahm er als Katharinas früherer Liebhaber tatsächlich an, daß diese seine Herrschaft über ein starkes, stabiles Polen gutheißen werde? Sie reagierte unverzüglich. »Sie sind Revolutionäre wie die Jakobiner«, erklärte sie. Das war natürlich Unsinn; die Reformer waren konservative Monarchisten. Doch hier lag einerseits die Möglichkeit für Zubov, sich einen Namen zu machen, andererseits konnte Rußland sich vergrößern. Während viele, darunter Potemkin, zur Vorsicht mahnten, drängte der neue Günstling: »Europas Kräfte sind durch den Krieg mit dem revolutionären Frankreich abgelenkt. Jetzt ist es an der Zeit, in Polen einzufallen.« In diesem Frühjahr – Potemkin war inzwischen gestorben – bekam Zubov seinen Willen. Selbst jetzt noch zogen russische Soldaten ungehindert über das polnische Land.
»Mein lieber Alexander Prokofievitsch«, erklärte Zubov nun gönnerhaft, »Sie haben den Augenblick Ihres Besuches großartig gewählt. Heute morgen bekam ich die Nachricht, daß Wilna uns gehört.« Eine weitere baltische Provinz, die dem Reich einverleibt wurde. »Zum Jahresende wird Polen nur noch halb so groß sein wie jetzt«, fuhr der junge Mann fort. »Wir werden Preußen ein Stückchen abtreten und das übrige für uns behalten.«
»Ich teile Ihre Freude«, antwortete Alexander mit einem Unterton, der diskret auf den fälligen Gunstbeweis hindeutete. »Ach ja!« Zubov
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