Russka
zuwider gewesen. Doch er hatte Kinder, die versorgt werden mußten, und so war er einträglichen Geschäften nicht abgeneigt. »Dein Sohn, Suvorin, will also nicht Soldat werden?« fragte er aufgeräumt. Er wandte sich an Sawa: »Danach würdest du aber frei sein, das weißt du«, fügte er hinzu.
Seit der Zeit Peters des Großen, als ein bestimmter Prozentsatz der männlichen Bevölkerung Rußlands wehrpflichtig war, gab es ein Gesetz, das Leibeigene, die den Militärdienst geleistet hatten, befreite. Doch was half das, wenn diese fünfundzwanzig Pflichtjahre Wehrdienst einem Todesurteil gleichkamen? Es gab Fälle von Selbstverstümmelung, um diesem Schicksal zu entgehen. Der junge Sawa hatte das unselige Los gezogen – zu Alexander Bobrovs großem Glück.
Obwohl die Suvorins Eigentum Bobrovs waren, hatten sie Geld. Ihre Leistungen in den vergangenen zehn Jahren waren beachtlich gewesen. Sie hatten nicht nur große Mengen Seidenband produziert, sondern befehligten einen Stab anderer Leibeigener, die das Tuch aus der Weberei auf dem Markt von Vladimir verkauften. Der reiche Leibeigene war für Alexander von Nutzen. Während die Leibeigenen auf dem Besitz in Rjazan ihre Abgaben immer noch mit der barschtschina, der Drei-Tage-Arbeit, beglichen, ließ er sich von den Leibeigenen in Bobrovo den obrok in bar bezahlen, und die Höhe des obrok wurde nach Belieben vom Grundbesitzer festgesetzt. In den letzten drei Jahren hatte Alexander den obrok Suvorins zweimal erhöht; beide Male hatte der Bursche murrend bezahlt. Bobrov lehnte sich auf dem Stuhl zurück: »Was also kann ich für euch tun?«
Suvorin verneigte sich tief und verkündete: »Ich komme, weil ich einen Leibeigenen kaufen möchte, Alexander Prokofievitsch.« Bobrov lächelte. Ja, er hatte Leibeigene zu verkaufen. Um die Jahrhundertwende hatte die rechtliche Stellung der russischen Bauern ihren tiefsten Punkt erreicht. Die Bauern waren im Grunde Sklaven, gleichgültig, ob Leibeigene als Eigentum eines Grundbesitzers oder an staatliche Ländereien gebundene Staatsbauern, ob wohlhabend wie die Suvorins oder am Rande des Verhungerns. Ein Leibeigener hatte so gut wie keine Rechte. Leibeigene konnten zu jener Zeit gekauft und verkauft werden wie totes Eigentum. Ein hübsches Mädchen oder ein Mann mit besonderen Fähigkeiten konnten einen hohen Preis erzielen. Natürlich war das im Grunde eine unhaltbare Situation. In seiner radikalen Zeit in den Salons von St. Petersburg während der Regierung Katharinas hätte Alexander das auch bereitwillig eingeräumt. Doch heute sah er die Sache anders, auch wenn allgemein bekannt war, daß der Zar die Praxis der Leibeigenschaft als widerwärtig bezeichnete. Doch selbst der Zar konnte die Leibeigenschaft nicht abschaffen: Der Adel widersetzte sich.
Bei all diesem furchtbaren Seelenhandel war der Verkauf von Männern als Rekruten das üblichste. Normalerweise wurden diese nicht von Landbesitzern, sondern von anderen Leibeigenen erworben. Ein reicher Leibeigener wie Suvorin ließ demnach seinen eigenen Sohn nicht in den Krieg ziehen; er ging zum Landbesitzer und kaufte einen anderen Burschen, der den Militärdienst anstelle seines Sohnes leistete.
Jetzt ging es nur noch um den Preis. Bobrov überlegte lange, während die Suvorins warteten.
Zufällig trat in diesem Augenblick Tatjana mit dem jungen Sergej ins Zimmer. Die Frau des Grundbesitzers hatte den Betrieb lange genug geführt, um zu ahnen, was die Suvorins hergeführt haben mochte. Sie hatte die beiden finsteren Burschen immer gern gehabt. Fragend blickte sie ihren Mann an. Sergej lächelte den beiden zu.
Konnte es sein, daß ihr Erscheinen Bobrov veranlaßt hatte, den Preis zu ändern? War es die plötzliche Erinnerung an seine Demütigung bei Sergejs Geburt? War es ein Gefühl von Versagen, weil seine Frau während seines Gefängnisaufenthaltes die Geschäfte so erfolgreich geleitet hatte? Was auch der Grund sein mochte – statt der fünfhundert Rubel, die Bobrov ursprünglich verlangen wollte, erklärte er jetzt ruhig: »Ich verlange eintausend Rubel.« Die beiden Leibeigenen hielten den Atem an. Das war ein ungeheuerlicher Betrag. Der höchste Preis, den selbst die geldgierigsten Landbesitzer bisher für einen Ersatzmann verlangt hatten, waren etwa sechshundert Rubel gewesen.
Die Suvorins sahen einander an. Sie hatten achthundert Rubel dabei. Die fehlenden zweihundert mußten sie unter den Dielenbrettern hervorholen.
Mehr besaßen sie nicht. »Ich könnte eine
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