Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
solche Summe erst morgen vorbeibringen, Alexander Prokofievitsch«, sagte Suvorin verdrossen. »Also gut, ich lasse einen Leibeigenen von Rjazan kommen, der Sawas Platz einnehmen soll.« Alexander hatte ein plötzliches Glücksgefühl. Es war nicht einfach, den Besitz besser zu führen als seine Frau, aber er hatte entdeckt, daß das Ausnehmen der reicheren Leibeigenen eine Möglichkeit war.
    Sawa blickte die Bobrovs an. Gegen Tatjana hatte er nichts. Er sah an ihrem unbeteiligten Gesichtsausdruck, daß sie mit der hohen Forderung nichts zu tun hatte. Die übrigen aber, Vater und Söhne, verachtete er zutiefst. Sawa wußte, daß diese Bobrovs seine Feinde waren. Und wie er sie so vor sich hatte, traf er eine unwiderrufliche Entscheidung. Er würde sich ihrer entledigen. Vielleicht würde ihn das viele Jahre kosten; er mußte schlau und stark sein, aber er besaß Stärke und Ausdauer. Herr gegen Knecht: Es würde ein Duell sein, vielleicht auf Leben und Tod.
    Es war im Oktober des Jahres 1812. Unter einem schwermütigen, bleigrauen Himmel zogen zuerst Flüchtlinge dahin, dann folgten die Truppen.
    Die Russen hatten ihr Vaterland verteidigt. Die Leibeigenen hatten sich loyal verhalten. Zuerst kam die Nachricht von der heftigen, doch ergebnislosen Schlacht von Borodino; bald darauf hieß es, Napoleon sei in Moskau einmarschiert. Und dann kam die Feuersbrunst. Ein Turm aus Feuer und Rauch ragte wie ein riesengroßer Pfeiler in den Septemberhimmel zum Zeichen dafür, daß Moskau niedergebrannt und der mächtige Eroberer damit seiner Trophäe beraubt wurde.
    Auch Russka war Zeuge der Geschichte. Truppen zogen vorbei, als die russische Armee sich darauf vorbereitete, den Feind an der weiten Krümmung der Oka zu beschatten. Einige Tage davor war es ein ganzes Infanterieregiment gewesen, Soldaten in ihren grünen Jacken und weißen Hosen, dann Kavallerie. An einem Oktobermorgen um diese Zeit saßen Sergej und seine Schwester Olga mit der Kinderfrau Arina und ihrer kleinen Nichte am Feuer im Kinderzimmer. Jeden Tag hatte es neue Nachrichten und neue Gerüchte gegeben. Napoleon war immer noch in dem ausgebrannten Moskau eingeschlossen. Würde er sich nach St. Petersburg wenden, wo der Zar die Zufahrtsstraßen befestigen ließ, oder würde er einen Rückzug nach Smolensk versuchen? Falls er das tun sollte, erwarteten ihn der bärbeißige Veteran General Kutusov und die Kerntruppe der russischen Armee. Oder versuchte Napoleon in Moskau zu überwintern?
    Während der vergangenen Tage war alles ruhig geblieben. Es kamen keine Truppen vorbei. Russka war so still wie eh und je. »Wenn Napoleon kommt, dann kämpfen wir alle, nicht wahr?« fragte Sergej erregt.
    Das brachte Alexander Bobrov zum Lachen. »Aber natürlich, Serjoscha«, war die liebevolle Antwort.
    Sergej hatte eine leidenschaftliche Natur. Er liebte seine Familie innig, besonders seine Mutter, die mit ihren zweiundvierzig Jahren zu einer klassischen, eher germanischen Schönheit geworden war. Sie war anders als alle Frauen, die der Junge bisher gesehen hatte, und sie behandelte ihn mit besonderer Sanftheit, was ihn mit Stolz erfüllte. Dann gab es noch den eisernen Alexej, der ständig im Krieg war. Sergej hatte ein bißchen Angst vor ihm, weil er ziemlich kühl und hochnäsig sein konnte. Aber er war schließlich ein Offizier, ein Held. Ilja saß zu Hause. Manche Leute lachten über den ältesten Bruder, weil er dick war und nichts tat. Sergej dagegen sagte voller Bewunderung: »Er hat so viel gelesen; er weiß einfach alles.« Und da war noch sein Vater. Sergej bewunderte ihn. Er sah in ihm einen Adligen vom Scheitel bis zur Sohle und einen Mann von Welt In Uniform würde er bestimmt fabelhaft aussehen, wie Alexej. Obendrein war er so gebildet wie Ilja. Für seine Überzeugung hatte er sogar im Gefängnis gesessen. Welch ein Glück, einen solchen Vater zu haben!
    Das waren Sergejs Helden. Da gab es noch seine Spielkameraden: Olga, das kleine Mädchen mit dem langen dunkelbraunen Haar und den blitzenden Augen. Er nannte sie »die Kleine«, weil sie ein Jahr jünger war als er und er sich als ihr Beschützer fühlte. Jeder von ihnen beiden wußte immer, was der andere dachte. Welch ein Glück, zu einer solchen Familie zu gehören! Sergej und Olga saßen zu beiden Seiten Arinas. Wie üblich, hatte sie ihnen eine Geschichte erzählt. Ihr liebes, glänzendes rundes Gesicht hatte etwas sehr Tröstliches. Ihr Haar wurde grau, und sie hatte im vergangenen Sommer einen

Weitere Kostenlose Bücher