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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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»Aber auch Kinder, Olga Alexandrovna, können gefährlich sein.«
    Sergej – gefährlich? Schweigend gingen sie weiter. Ermutigt von der Intimität des Augenblicks sagte sie plötzlich: »Sie haben mir einmal etwas aus Ihrem Leben erzählt, Fjodor Petrovitsch. Aber darf ich Sie fragen, woran Sie glauben? Glauben Sie, zum Beispiel, an Gott? Was hilft Ihnen, wenn Sie sich in Gefahr befinden?«
    Er zuckte die Achseln. »Schicksal«, antwortete er. »Wenn man nie weiß, ob nicht irgendein Wilder einem eine Kugel in den Kopf schießt, fängt man an, ans Schicksal zu glauben.« Er lächelte. »Das ist beruhigend.«
    »Sie sind anders als meine Brüder, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt. Ihre Brüder hoffen immer auf irgend etwas.«
    »Und Sie? Hoffen Sie nie?«
    »Wie ich schon sagte: Ich glaube an das Schicksal. Die Dinge geschehen so, wie sie vorgesehen sind. Wir müssen unsere Bestimmung nur annehmen.«
    Sie war sich bewußt, daß er sie musterte. Sie hatte das merkwürdige Gefühl vollkommener Sicherheit in seiner Nähe, aber sie fühlte auch Gefahr, und die Mischung fand sie faszinierend. »Ich glaube, ich verstehe das ein wenig«, sagte sie.
    Er nickte. »Ja, Olga Alexandrovna«, sagte er leise, »wir verstehen einander, glaube ich.«
    Sie spürte, daß das als Kompliment gemeint war, und da sie nicht wußte, wie sie sonst darauf reagieren sollte, berührte sie leicht seinen Arm. Dann gingen sie gemeinsam zurück. Nach diesem Erlebnis war Pinegin innerlich aufgewühlt. Es hielt ihn nicht im Haus. Allein nahm er den Weg nach Russka. Nachdenklich setzte er sich auf einen kleinen Grabhügel am Wegrand. Ja, warum sollte er eigentlich nicht? Er war schließlich ein Herr. Und diese Frau war etwas Besonderes, anders als die anderen. Da er arm war, hatte er sich den adligen Töchtern gegenüber immer ziemlich unbeholfen gefühlt. Und zur eigenen Beruhigung hatte er sich eingeredet, sie seien oberflächlich, fade und ohne Interessen. Olga jedoch war anders. Sie hat gelitten, sagte er sich. Sie kann mich wohl verstehen. Wahrscheinlich werde ich eine wie sie nie mehr finden.
    Natürlich war er arm. Aber auch andere arme Männer hatten reiche Frauen geheiratet. Und oft hatten die Leute sogar eine hohe Meinung von ihnen, bewunderten sie sogar. Außerdem hatte er anderes zu bieten: Er konnte für sich selbst sorgen, er hatte allein gelebt. Und er hatte niemals Furcht gekannt.
    Alexej würde in einigen Tagen zurückkommen. Dann wollte er, Pinegin, seinen Antrag machen.
    Der junge Karpenko blickte Sergej mit einem erstaunten Stirnrunzeln an: Merkwürdiges ging mit seinem Freund vor. Da war eine Erregung in ihm, die Karpenko nicht ergründen konnte. Er wußte, daß sich hinter der Fassade, hinter jenem Sergej, der die üblichen blöden Witze erzählte, hinter dem Moralisten, der so zornig gegen den russischen Staat aufbegehrte, eine stille Poetenseele verbarg. Diesen Sergej liebte er. Nun aber diese seltsame Bitte. Warum bestand Sergej so sehr darauf?
    »Ich werde tun, was ich kann«, sagte der Kosak, »obwohl ich nicht weiß, ob das gutgeht. Ich begreife einfach nicht…« Sergej seufzte. »Mach dir keine Sorgen«, versicherte er seinem Freund. »Tu nur, was ich dir sage, das ist alles.« Er verstand sich ja selbst kaum. Nur eines wußte er: »Es muß sein«, murmelte er, »es muß einfach sein.« Er hatte alles sorgfältig geplant. Es war der 24. Juni, das Fest des heiligen Johannes. In der vergangenen Woche, seit seinem Streit mit Alexej und dessen Abreise, war jeder von ihnen eher für sich geblieben, und Sergej war sich fast wie ein Ausgestoßener vorgekommen. Ilja war mit seinen Büchern beschäftigt; Pinegin ging häufig allein auf die Jagd. Tatjana sprach kaum mit ihm, und selbst der kleine Mischa hielt sich eher fern. Olga hatte betrübt zu ihm gesagt: »Ich habe wirklich versucht, Frieden zu halten, Serjoscha. Und du hast das kaputtgemacht. Du hast mir weh getan.«
    Das bevorstehende Fest hatte die Atmosphäre jedoch entschärft. Es war geplant, daß man nach den Feierlichkeiten an diesem Tag gemeinsam einen Ausflug zu den alten heiligen Quellen machen würde. Es war Sitte, in der Johannisnacht in den Wald zu gehen. Zum Fest des heiligen Johannes des Täufers kleideten sich alle festlich. Am späten Vormittag erschienen die beiden Arinas, auch sie fein herausgeputzt. Wie prächtig ist doch die Tracht der russischen Landfrauen, dachte Sergej. Heute trugen die beiden bestickte Blusen mit bauschigen Ärmeln, darüber ein bis

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