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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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und den Verpflichtungen nachzukommen.
    »Ich muß dein Land verkleinern«, erklärte Iljitsch brüsk. »Um wieviel?«
    Der Ältere überlegte: »Um die Hälfte.« Das war noch schlimmer, als Timofej gefürchtet hatte. »Tut mir leid«, fuhr der Ältere fort, »aber wir haben jetzt mehr junge Leute im Dorf. Wie die Dinge liegen, ist nicht genug Land für alle da.« Er zuckte die Achseln und ging.
    Arina war dreiundsechzig. Sie war die älteste Frau der Familie, und das ließ sie jeden spüren. Vor allem aber liebte sie ihre Tochter Varja. »Ich hab' mich im 1839er Jahr nicht fast für sie umgebracht, damit es ihr jetzt schlechtgeht«, war ihre Rede. Mit den Jahren war es deutlich geworden, daß die Narben, die jene schreckliche Zeit bei Arina hinterlassen hatten, nie mehr ganz verschwinden würden. Sie erzählte oft, wie sie in jenem Jahr einen ganzen Monat lang von einer einzigen Rübe gelebt hatte. »Deshalb bin ich auch älter, als ich wirklich bin«, meinte sie.
    Und nun würde ihre Tochter noch ein Kind bekommen. Schweigend hatte sie die Entwicklung dieses kleinen Familiendramas mit angesehen. Mehrmals sagte die arme Varja todunglücklich zu ihr: »Es wäre, weiß Gott, ein Segen, wenn ich das Kind verlieren würde, bevor es zur Welt kommt.« Und als Arina nun sah, wie die Dinge ihren bösen Lauf nahmen, kam sie insgeheim zu einem Entschluß. Wenn die Lage nicht besser wird, muß das Kind verschwinden! Das war nichts Ungewöhnliches. Arina kannte eine Frau, die ihr Kind ertränkt hatte. Einfacher und nicht so auffällig war es jedoch, ein Kind auszusetzen. Wenn es sein mußte, würde sie das tun. Sie sprach jedoch mit niemandem darüber.
    Als Timofej niedergeschlagen von der Unterredung mit dem Dorfältesten zurückkam und die schlechte Nachricht brachte, sagte er zu seiner Frau: »Vielleicht müssen wir Natalia in die Fabrik stecken. Schick sie zu mir!«
    Während Peter Suvorin neben seinem Großvater Sawa herlief, setzte sich ein neuer Gedanke in seinem Kopf fest: Vielleicht sollte ich mich umbringen! Eines war sicher – er mußte dieser furchtbaren Falle entrinnen.
    Wäre nur sein Vater nicht gestorben! Ivan Suvorin war, wohl in Erinnerung an seine eigene harte Erziehung durch Sawa und auch deshalb, weil er seine Frau verloren hatte, als Peter erst zehn Jahre alt war, ein liebevoller Vater gewesen, weise genug, seine Söhne nicht verändern zu wollen. Vladimir, fünf Jahre älter als Peter, war der geborene Geschäftsmann; Ivan übergab ihm die Leitung einer Moskauer Filiale, als er erst siebzehn war. Peter dagegen hatte intellektuelle Neigungen und durfte – zum Ärger des alten Sawa – die Universität besuchen. Nun war Ivan sechs Monate zuvor einem schweren Schlaganfall erlegen, und Peters heile Welt war plötzlich zerstört.
    Innerhalb einer Woche hatte der Großvater die Kontrolle über das riesige Unternehmen wieder in die Hand genommen. Peter mußte sein Studium unverzüglich aufgeben. Während der junge Vladimir die Moskauer Fabriken weiterführen durfte, beorderte der Großvater den jüngeren Enkel kurzerhand nach Russka zurück. Die Großeltern waren für Peter ferne Gestalten gewesen, denen man bei ihren gelegentlichen Besuchen mit heiligem Respekt zu begegnen hatte. Er hatte nie einen so großen Mann wie seinen Großvater gesehen – ein furchterregender Anblick mit seinem dichten Haar, dem langen grauen Bart und den durchdringenden schwarzen Augen; und ebenso grauenerregend war seine Schweigsamkeit.
    Nun aber, nachdem Peter gezwungen war, im Haus seiner Großeltern zu leben, hatten seine Gefühle sich gesteigert. Die Angst aus Kindertagen war geblieben, und dazu gesellte sich so etwas wie Entsetzen. Sawa Suvorin war kein gewöhnlicher Sterblicher. Er war ein Gesetz in sich und ein Gesetz vor Gott: unverrückbar, unwandelbar und gnadenlos. Mit seinen zweiundachtzig Jahren hielt er sich aufrecht wie ein Dreißigjähriger. Die Gemeinde der Theodosianer, der er angehört hatte, war 1850 aufgelöst worden, und wie viele andere Kaufleute sah er sich veranlaßt, nominell in die orthodoxe Kirche einzutreten, doch im Innern blieb er ein Altgläubiger.
    Russka war niemals schön gewesen, nun jedoch war es ausgesprochen häßlich. Die Häuser an dem zum Fluß steil abfallenden Abhang mit ihren Anbauten und den sie umgebenden Zäunen sahen so aus, als purzelten sie ins Wasser, so wie der Müll aus der Stadt gekippt wurde. Innerhalb der Stadtmauern überragte das große Ziegelsteingebäude der

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