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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wieder allein nach Russka gehen lasse, gereizt anfuhr: »Ich habe anderes zu tun, als meine Zeit mit dir und deinem Gott zu vergeuden«, war sie so fassungslos und verletzt, daß Mischa seinen Mantel anzog und mit ihr ging.
    Am Spätnachmittag traf er im Salon auf die beiden jungen Männer. Draußen wurde es dämmrig, und Nikolaj, der eine Zeichnung seines Freundes anfertigte, schloß seinen Block, als Mischa leise eintrat. Er zündete die Lampe auf dem runden Tisch an, nahm eine Zeitung und machte es sich im Sessel bequem. Mischa nickte Popov zu und sagte freundlich zu Nikolaj: »Entschuldige, wenn ich das sage, aber du hast deine Mutter heute morgen ziemlich verletzt.«
    Nikolaj lachte nervös auf. »Du meinst, weil ich nicht in die Kirche gegangen bin? Die Kirche ist nichts anderes als eine Kneipe, in der die Leute sich an der Religion berauschen.« Mischa seufzte. Er war keineswegs entsetzt. Seit der Aufklärung gab es kaum einen gebildeten Mann, der nie Zweifel an Gott oder der reglementierten Kirche gehegt hätte. Warum aber mußte Nikolaj so beleidigend sein? »Du kannst an Gott zweifeln, ohne deine Mutter zu kränken«, bemerkte er. »Solange du dich in diesem Haus aufhältst, wirst du dich ihr gegenüber höflich verhalten.« Darauf wandte er sich mürrisch der Zeitung zu.
    Nikolaj aber wollte weiterdiskutieren. »Du hast nie von der Philosophie Feuerbachs gehört, nehme ich an?« Mischa hatte zwar von diesem Philosophen gehört, der bei den Radikalen in Mode war, doch er mußte zugeben, daß er nichts von ihm gelesen hatte.
    »Hättest du das getan, wüßtest du, daß euer Gott nichts als ein Spiegelbild menschlicher Wünsche ist«, erklärte Nikolaj eiskalt. »Ihr braucht Gott und die Kirche, denn sie gehören der Gesellschaft der Vergangenheit an wie ihr. In der zukünftigen Gesellschaft brauchen wir keinen Gott mehr. Gott ist tot.« Mischa legte die Zeitung weg. »Wenn ihr Gott für tot erklärt – wodurch wollt ihr ihn ersetzen?«
    »Durch die Wissenschaft, natürlich.« Nikolaj blickte seinen Vater ungeduldig an. »Es ist wissenschaftlich bewiesen, daß das Universum aus Materie besteht. Alles kann durch physikalische Gesetze erklärt werden. Es gibt keinen Gott, der die Fäden in der Hand hat – das ist Aberglaube. Wissenschaft, und nur sie, macht die Menschen frei.«
    »Frei?«
    »Ja. Herren ihrer selbst. In Rußland stützt eine abergläubische Kirche einen autokratischen Zaren, und die Menschen leben im Dunkel, wie Sklaven. Doch die Wissenschaft wird damit aufräumen, und dann wird es eine neue Welt geben. Eine Welt der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Eine Welt, in der die Menschen die Früchte der Erde miteinander teilen, eine Welt, in der kein Mensch den anderen ausbeutet.«
    Mischa warf ein, daß ihn der Entwurf dieser neuen Welt ein wenig an den christlichen Himmel erinnere.
    »Absolut nicht«, widersprach Nikolaj rasch. »Euer christlicher Himmel ist eine Erfindung. Eure Religion geht von einem Leben nach dem Tod aus. Doch das gibt es nicht.«
    »Ihr verachtet also meine Hoffnung auf den Himmel und haltet meine Religion für Betrug?«
    »Genau das.«
    Mischa überlegte. »Sagt mir eines: Wenn das Universum aus Materie besteht, wenn ich in einem zukünftigen Leben weder die Hölle zu fürchten noch auf den Himmel zu hoffen habe – warum sollte ich mir die Mühe machen, zu meinem Nachbarn freundlich zu sein und die Früchte der Erde mit ihm zu teilen? Würde ich ihn dann nicht so weit wie nur möglich ausbeuten, weil ich ja keine Zukunft vor mir sehe?«
    Nikolaj sah Popov an und lachte. »Du verstehst gar nichts. Leider habe ich dir nichts mehr zu sagen.«
    Mischa blickte seinen Sohn traurig an. Er und Nikolaj hatten schon früher hitzige Dispute gehabt. Doch nun lag etwas Verächtliches in Nikolajs Stimme, was neu war und Mischa große Sorge machte. Er wandte sich an Popov. »Vielleicht können Sie mich aufklären«, bat er leise.
    »Vielleicht.« Popov zuckte die Achseln. »Sie können nicht verstehen, weil Sie das Produkt der alten Welt sind. In der neuen Welt, wo die Gesellschaft sich anders zusammensetzen wird, sind die Leute anders.« Er starrte Mischa kühl an. »Das ist wie in Darwins Evolutionstheorie: Manche Arten passen sich nicht an und sterben deshalb aus.«
    »Menschen, die so denken wie ich, wird es also dann nicht mehr geben?«
    »Sie sind bereits tot«, antwortete Jevgenij Popov. Mischa war nach diesem Gespräch derart verstört, daß er wiederholte Male versuchte, mit seinem

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