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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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einer armen alten Frau, doch ich bitte Sie, lassen Sie sich nicht mit dem da ein!« Sie deutete zur Tür. »O nein – mein Freund ist ein toller Bursche.« Arina aber schüttelte den Kopf. »Bleiben Sie weg von ihm, Nikolaj Michailovitsch. Irgend etwas stimmt nicht mit ihm.« Nikolaj küßte sie lachend. »Liebe Arina!« Er konnte durchaus verstehen, daß sein Freund ihr seltsam vorkam. Viele Überlegungen gingen Jevgenij Popov durch den Kopf, während er eines Nachmittags den Weg durch die Wälder nach Russka nahm. Eine davon betraf ein Versteck. Er brauchte eine kleine, abgelegene Stelle. Ein Schuppen würde genügen. Er mußte aber verschließbar sein und durfte von niemandem benutzt werden. In Bobrovo hatte er so etwas nicht gefunden. Der Gegenstand, um den es ging, befand sich, sorgfältig zerlegt, in einer verschlossenen Kiste in seinem Zimmer. Seinem Gastgeber hatte er erzählt, sie enthalte Bücher. Es würde wohl bald an der Zeit sein, die Kiste zu öffnen. Und Nikolaj könnte seinen, Popovs, Zwecken sehr wohl dienlich sein. Er hielt auch Ausschau nach anderen Personen. Boris Romanov hatte, zum Beispiel, seine Aufmerksamkeit erregt; ein starker Geist, dachte er. Er hatte mit ihm einige Male über allgemeine Themen gesprochen. Doch ehe er etwas unternehmen wollte, mußte er mehr über die Bedeutung der nahe gelegenen Fabriken und den Einfluß der Suvorins erfahren. So war er über die Brücke in die geschäftige kleine Stadt gelangt. Eine Zeitlang wanderte er umher, besah sich das strenge Gebäude, in dem die Baumwollspinnerei untergebracht war, die Lagerhäuser und die düsteren Reihen der Arbeiterhütten. Eine einsame Gestalt, die niedergeschlagen an den Marktbuden entlangging, fesselte sogleich seine Aufmerksamkeit. Er ging auf sie zu.
    Natalia machte Fortschritte, Grigorij hatte sich von ihr küssen lassen, und das war zumindest ein Anfang. Der Kuß hatte salzig geschmeckt, und sie hatte gemerkt, daß der Junge verlegen war und nicht wußte, was er mit seinen Lippen machen sollte. Offenbar hatte er noch nie geküßt. Zwar hatte ihr Vater sie noch nicht in die Fabrik geschickt, doch sie war überzeugt, daß es kurz bevorstand. Boris hatten seinen Entschluß nicht geändert, und die ganze Familie half beim Bau einer neuen isba am anderen Ende des Dorfes. Wenn er erst einmal ausgezogen war, stand ihr Schicksal fest. Sie hatte ihrem Vater zwar noch nichts von dem jungen Mann und ihren Plänen erzählt, doch traf sie Grigorij weiterhin alle paar Tage und versuchte seine Zuneigung zu gewinnen. Sie erzählte ihm oft vom Leben in ihrem Dorf, auch von den beiden merkwürdigen jungen Männern.
    Grigorij hörte sich die Berichte über Nikolaj und Popov interessiert an. Warum arbeitete jemand auf dem Feld, wenn er es nicht nötig hatte? Er versuchte sich die beiden vorzustellen. Eines frühen Abends deutete Natalia plötzlich über den Marktplatz von Russka und erklärte: »Dort ist er – der Rothaarige. Ich möchte wissen, was er da treibt.« Das hätte Grigorij auch gern gewußt: Der seltsame Fremde war mit Peter Suvorin in ein Gespräch vertieft. Ein Monat war verstrichen. Der Boden war längst trocken. Der Frühling wich dem Frühsommer. In Bobrovo verlief das Leben ruhig wie immer.
    Doch Mischa Bobrov machte sich Sorgen wegen Nikolaj. Zuerst hatte er gesund und fröhlich gewirkt. Jeden Tag kam er erhitzt und müde, doch bester Laune von der Feldarbeit nach Hause. Dann aber trat eine Wende ein.
    An einem Wochenende bemerkte Mischa erstmals eine Veränderung an seinem Sohn: Sein Gesicht war blaß und zeigte einen verkniffenen, sorgenvollen Ausdruck; und wenn Vater und Sohn miteinander sprachen, war eine Barriere zwischen ihnen. Es war, als entferne Nikolaj sich bewußt immer weiter von seinen Eltern. In den vergangenen Tagen wurde er auch zunehmend reizbar. Was mochte nur in den Jungen gefahren sein? Mischa fragte Timofej Romanov, doch der Bauer meinte, Nikolaj sei unverändert fröhlich bei der Arbeit.
    »Es muß an diesem Freund liegen«, sagte Mischa schließlich. »Ich würde nur zu gern mehr über ihn wissen.« Die Möglichkeit dazu ergab sich an einem Sonntag. Anna gab den Anlaß. Mischa ging nur an hohen Festtagen in die Kirche, aber seine Frau besuchte die Messe regelmäßig jeden Sonntag, mitunter sogar zweimal, und wenn Nikolaj zu Hause war, begleitete er sie in der Regel. Deshalb war sie traurig, daß er den ganzen Monat über Ausflüchte gebrauchte. Als er sie eines Sonntags auf ihre Frage, ob er sie

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