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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Bolscheviken«, sagte Peter zu Frau Suvorin. »Hier ist er.«
    Frau Suvorin lächelte. »Seien Sie herzlich willkommen«, sagte sie, und sie sagte damit sicher die Wahrheit: Denn so ausgesucht die Gesellschaft in ihrem Hause auch immer sein mochte – sie hatte in letzter Zeit etwas vermißt: die echten Revolutionäre. In späterer Zeit bezeichnete man es in privilegierten Kreisen als chic, Revolutionäre nach Hause einzuladen und sogar einen Beitrag zu ihrem Anliegen zu leisten.
    Es wurde sogleich offensichtlich, daß Popov bestens unterrichtet war. Er kam gerade vom letzten Sozialistenkongreß in Stockholm zurück. Und obwohl er sehr genau überlegte, was er sagte, beantwortete er Fragen doch sehr bereitwillig. Frau Suvorins Erkundigungen über die Bolscheviken kam er offen entgegen. »Der Unterschied zwischen den Bolscheviken und den übrigen Sozialdemokraten, den Menscheviken, wie wir sie nennen, ist gar nicht so groß. Wir alle wollen eine sozialistische Gesellschaft; wir alle folgen Marx, aber es gibt verschiedene Ansichten über die Taktiken. Und manchmal über Persönlichkeiten.« Er zählte rasch die Namen einiger Menschevikenführer auf: Trotzki, Rosa Luxemburg in Polen, einige mehr. »Es ist jedoch der Bolscheviken-Führer, der tatsächlich die Spaltung herbeiführt.« Er schmunzelte. »Und das ist mein Freund Lenin. Er geht niemals Kompromisse ein.«
    »Und wer ist dieser Lenin?« fragte Nikolaj Bobrov. »Sie sind ihm schon einmal begegnet, vor fünfzehn Jahren, im Zug – erinnern Sie sich?«
    »Der Tschuvaschen-Anwalt mit dem Gut an der Wolga?«
    »Genau dieser. Er hat die meiste Zeit im Exil gelebt. Er hält sich auch jetzt versteckt, denn anscheinend mag ihn die Obrigkeit nicht. Aber er ist der Mann, der hinter den Bolscheviken steht.«
    »Und was macht ihn so anders?«
    »Der Schlüssel zu Lenin liegt in seinem Buch«, antwortete Popov. »Es ist sein Manifest.« Und er begann zu erzählen. Dieses wichtige Werk war erst vier Jahre zuvor geschrieben und von Deutschland nach Rußland geschmuggelt worden. Für die meisten Revolutionäre war es bereits zur Bibel geworden. Lenin hatte den Titel der Schrift gewählt, die die vorhergehende Generation der Radikalen derart beflügelt hatte: »Was tun?« Es war nicht so sehr ein politisches Traktat wie ein Leitfaden, wie eine Revolution zu machen sei. »Der Marxismus sagt, daß die alte Ordnung zusammenbrechen wird.« Popov lächelte. »Lenin sagt uns, wie man ihr einen Stoß versetzen kann. Mit anderen Worten: Unsere Menschevikenfreunde möchten warten, bis die Massen bereit sind, die sozialistische Ordnung für eine neue und gerechte Gesellschaft zu schaffen. Wir Bolscheviken glauben, daß ein kleiner, wohlorganisierter Kader nötig ist, um den großen Wandel in der Gesellschaft durchzusetzen. Wir glauben, daß die Massen eine Führung brauchen.«
    »Einige von uns sind der Meinung«, warf Peter Suvorin ein, »daß Lenin die Arbeiter lediglich als Kanonenfutter betrachtet.« Zu seiner Überraschung nickte Popov. »Das stimmt wahrscheinlich«, antwortete er. »Das ist Teil seiner Größe.« Ein kurzes Schweigen trat ein. Dann sagte Nikolaj Bobrov langsam: »Ich kann Ihre Überzeugung verstehen, daß die Massen Führer brauchen, aber besteht nicht die Gefahr, daß eine solche Führung zu mächtig, zu einer Art Diktatur wird?«
    »Ja, theoretisch gesehen, besteht diese Gefahr. Doch vergessen Sie nicht, daß unser politisches Ziel nicht sehr weit von dem Ihren entfernt ist. Der einzige Weg für Rußland nach vorn, der einzige Weg zum Sozialismus führt über das Volk, über die Demokratie. Alle Sozialisten, eingeschlossen die Bolschevikische Partei, versuchen das gleiche zu erreichen – ein demokratisch gewähltes System. Wir wollen den Zaren nicht stürzen, um einen neuen Tyrannen an seine Stelle zu setzen.«
    Das wurde mit großem Ernst und großer Überzeugungskraft geäußert. Alle, die es hörten, schienen den Worten Glauben zu schenken.
    Doch dann brach Alexander Bobrov das Schweigen. Er hatte genau zugehört, aber für ihn war der rothaarige Bolschevik ein Feind. Es hatte ihn zornig gemacht, daß die Zuhörer offensichtlich beeindruckt waren von Popovs Worten. Sind sie denn alle so dumm wie mein Vater, überlegte er. Er spürte das brennende Verlangen, Popov zu demütigen. »Ich habe gehört, daß alle führenden Revolutionäre Jidden sind«, sagte er. »Stimmt das?« Das war eine genau kalkulierte Ungehörigkeit, eine Art genereller Beleidigung, die die

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