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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Rechtsgerichteten gern aussprachen, um die Juden damit zu kränken, daß man sie alle als Revolutionäre und die Revolutionäre als Juden bezeichnete. Es folgte ein verlegenes Schweigen. Doch Popov lachte leise. »Nun, natürlich, Trotzki und Rosa Luxemburg sind beide Juden«, antwortete er. »Ein paar andere fallen mir auch noch ein. Aber ich muß Ihnen trotzdem sagen, lieber Freund, daß die Juden in unserer Partei in der Minderheit sind. Im übrigen«, fügte er hinzu, »sagte Lenin, der selbst kein Slave ist, daß die einzigen intelligenten Russen die jüdischen sind. Darauf können Sie sich jetzt selbst einen Reim machen.« Er hatte geschickt pariert, und die Gesellschaft lachte erleichtert.
    »Und wie steht es mit dem Terrorismus? Ich höre, daß die Bolscheviken hinter einigen der Bombenleger stehen und daß sie auch Raubüberfälle verübt haben.« Diese Vorwürfe trafen zu. Lenin befürwortete damals beide Methoden, um die Spaltung zu verstärken und Geldmittel für die Bolscheviken zu bekommen – eine Tatsache, die Parteigänger wie Peter Suvorin unangenehm berührte.
    »Auch ich habe von diesen Zwischenfällen und Eigentumsdelikten gehört«, antwortete Popov unverbindlich, »aber ich weiß nichts Genaues darüber.«
    Da legte Vladimir seine Hand fest auf Alexanders Arm und flüsterte dem Jungen zu: »Genug, mein Freund!«
    Aber der war noch nicht zu Ende. »Wissen Sie, daß ich Sie früher schon gesehen habe«, sagte Alexander etwas lauter, »als Sie die Arbeiter des Mannes aufgewiegelt haben, in dessen Haus Sie heute einzutreten wagten? Aber damals sind Sie ihm ausgewichen. Sie haben einen anderen Namen benutzt: Ivanov, und haben sich wie ein Hund davongeschlichen. Wie viele Namen führen Sie, Herr Popov?«
    Einen Augenblick lang hatten Popovs grüne Augen einen Ausdruck, als starrte er eine Schlange an, dann entgegnete er sehr ruhig: »Es ist eine traurige Tatsache, daß seit langem, da jede Opposition in Rußland unter polizeilicher Überwachung steht, viele Menschen mehr als einen Namen verwenden mußten. Lenin hat, soweit ich weiß, mehr als hundert Namen gebraucht.« Popov war blaß geworden.
    »Sie streiten ab, daß Sie ein Dieb und ein Feigling sind?« provozierte Alexander weiter.
    Diesmal gab Popov keine Antwort, sondern sah den Jungen nur mit einem kleinen Lächeln an. Frau Suvorin beendete den Schlagabtausch, indem sie Popov mit einem kurzen Auflachen wegführte. »Du hast dir einen gefährlichen Feind geschaffen«, meinte Alexanders Vater kurz darauf. Worauf der junge Mann nur trotzig erwiderte: »Besser, als ihn zum Freund zu haben.« Trotz Alexanders peinlicher Attacke war man sich allgemein über den Erfolg des Abends einig. Nikolaj Bobrov blieb dieser Abend im Gedächtnis als der Abend, an dem sein Sohn sich Popov zum Feind gemacht hatte. Für Frau Suvorin war es die Gelegenheit, bei der dieser seltsame rothaarige Bolschevik nach einer gemeinsamen halben Stunde ihr versprochen hatte, bei seinem nächsten Besuch in Moskau wieder in ihrem Salon vorzusprechen. Nachdem Peter und Rosa Suvorin das Haus Vladimirs verlassen hatten, fragte er neugierig: »Worüber hat Vladimir mit dir gesprochen?«
    »Oh, über gar nichts.«
    »Du schienst aber ziemlich außer Fassung.«
    »So? Nein, eigentlich nicht.«
    Warum sah Rosa nach dieser harmlosen Anspielung auf das Gespräch mit Vladimir aus, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen?
    »Ich halte meinen Bruder für einen guten Menschen«, sagte Peter. »Manche halten ihn sogar für weise.«
    »Er weiß alles. Das ist ja gerade das Problem.« Diese Antwort ergab für Peter überhaupt keinen Sinn. Für Alexander Bobrov kam der Augenblick, der sein Leben ändern sollte, als er hinter seinem Vater durch die große Halle ging. Zufällig blickte er nach oben zu der Marmorgalerie, und da konnte er keinen Schritt mehr tun. Die kleine Nadeschda sah gerne zu, wenn die Gäste sich verabschiedeten. Sie lag den ganzen Abend wach, dann schlüpfte sie im Nachthemd hinaus und spähte zwischen den Marmorsäulen hindurch. Die meisten Gästen waren an diesem Abend schon gegangen, und das Mädchen stand nun hoch aufgerichtet da, ihr kastanienbraunes Haar fiel ihr lang über die Schultern. So sah Alexander sie. Der junge Mann starrte hinauf zu dem achtjährigen Mädchen. »Das muß Suvorins kleine Tochter sein«, murmelte er. Welch engelgleiches Gesicht! Was für wundervolles Haar! Und sie war Vladimirs Tochter, die Tochter seines Idols. Sofort war er sich

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