Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
die Bolscheviken«, bemerkte Vladimir. Frau Suvorin hielt es für selbstverständlich, daß der liebe Peter zu der weniger extremen Mehrheit gehören mußte. Sie war neugierig in bezug auf die Bolscheviken, und einige Tage vor der Einladung hatte sie ihn gefragt: »Kennen Sie einen von diesen Burschen? Könnten Sie einen davon zu uns bringen?«
    »Ich kenne einen solchen Mann, der sich zur Zeit in Moskau aufhält, aber ich glaube nicht, daß er kommen wird«, war Peters Antwort. »Fragen Sie ihn trotzdem«, bat sie ihn, und Peter tat es. Nikolaj Bobrov war gespannt auf die Begegnung mit Peter Suvorin, an den er sich aus seiner Jugend nur dunkel erinnerte. Die beiden Männer waren einander sympathisch. »Wir Kadetten üben so lange Opposition gegen den Zaren, bis er uns eine wirkliche Demokratie gibt«, versicherte Bobrov.
    »Wir beide wollen das«, stimmte Peter liebenswürdig zu, »aber wir wollen eine Demokratie, die auf die Revolution hinführt, und Sie wollen eine, um die Revolution zu vermeiden.« Auf Nikolajs weitere Fragen legte er seine Ansichten über die Zukunft offen dar. »Die organisierte Arbeiterschaft ist der Schlüssel zu allem«, erklärte er, »und die Aufgabe der Marxisten ist es, die Arbeiter politisch zu interessieren, sie vorzubereiten auf eine sozialistische Revolution, wenn die Zeit dafür reif ist.«
    »Wer wird das übernehmen?«
    »In den westlichen Provinzen der jüdische Arbeiterbund«, antwortete Peter. Es tat ihm leid, daß seine früheren Versuche, die jungen jüdischen Reformer von ihrem Weg abzubringen, gescheitert waren, doch der jüdische Bund hatte sich in den Krisenmonaten als solide und stark erwiesen, und die Mitglieder waren gute Marxisten.
    »Und das übrige Rußland?«
    Peter lächelte. »Die neuen Arbeiterkomitees. Sie haben letztes Jahr ihre Arbeit aufgenommen und sind sehr tüchtig. In jeder Stadt haben sie politische Zellen.«
    »Wie heißen sie?« fragte Nikolaj.
    »Wir nennen sie Sowjets«, war die Antwort des Professors. Nikolaj zuckte die Achseln. Er war der Ansicht, daß die Sowjets bald vergessen sein würden, wenn die Duma ihre Aufgabe ordentlich erfüllte.
    Während des Gesprächs beobachtete er seine Gastgeber. Frau Suvorin bewegte sich geschickt von Gruppe zu Gruppe mit gemessener Anmut, die den übrigen Damen Respekt abforderte, während alle Herren verstohlen hinter ihr herblickten. Sie flirtet, ohne wirklich zu flirten, dachte Nikolaj.
    Vladimir wurde von den Herren offenbar geachtet, aber mit den Damen hatte er, das konnte man sehen, eine ganz besondere Art. Nikolaj fragte sich plötzlich, ob Vladimir seiner Frau wohl untreu sei. Zweifellos wären viele Frauen in diesem Raum einer Affäre mit Suvorin nicht abgeneigt.
    Da bemerkte Nikolaj, daß Vladimir sich mit Rosa Suvorin unterhielt. Sein gewohnt angenehmes Lächeln war verschwunden. Sein Gesicht hatte den Ausdruck leichter Unruhe, und er sprach sehr ernst auf Rosa ein. Auch Peter blickte nun erstaunt zu seiner Frau hinüber, die plötzlich sehr blaß und müde aussah, den Kopf in heftiger Ablehnung schüttelte. Daraufhin drückte Vladimir leicht ihren Arm und verließ sie, während sie sich rasch einem Fenster zuwandte. Den beiden Beobachtern Nikolaj und Peter kam die Szene recht seltsam vor. Nun öffnete sich die Tür, und ein neuer Gast trat ein: Jevgenij Popov.
    Alexander Bobrov stand neben Vladimir, gerade als Popov hereinkam, und zum erstenmal hörte er den sonst so überlegenen Industriellen einen Laut der Überraschung ausstoßen. »Das gibt es doch nicht! Es ist der Kerl, den wir während des Streiks gesehen haben.« So war es. Der rothaarige Mann, den man Ivanov nannte. »Werden Sie ihn hinauswerfen?« flüsterte Alexander. »Nein. Erinnern Sie sich nicht, daß ich damals mit ihm sprechen wollte? Und jetzt ist er hier.« Lächelnd und mit ausgestreckter Hand ging Vladimir durch das Zimmer auf den Revolutionär zu. »Willkommen!«
    Alexanders Erstaunen über diesen Vorgang war nichts im Vergleich zu dem Schrecken, der ihn überkam, als der Rothaarige einen Moment später auf seinen Vater zuging, ihn herzlich umarmte und auf Frau Suvorins verblüffte Frage, ob sie beide einander kennten, ruhig antwortete: »Aber ja! Wir sind einen langen Weg gemeinsam gegangen.«
    Sein Vater war also ein Freund dieses Menschen. Alexander hatte den Eindruck, die Dummheit und Untreue seines Vaters seien grenzenlos.
    Die kleine Gruppe, die sich um Popov scharte, beäugte den neuen Gast neugierig. »Sie wollten einen

Weitere Kostenlose Bücher