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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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er. Ich suche mir eine Stelle am Fluß und mache ein Ende.
    In diesem Augenblick hörte er ein Geräusch hinter sich, wo eine Reihe Sklaven auf dem Boden saß, die auf dem Marktplatz verkauft werden sollten. Ivanuschka sah sie gleichgültig an. Einer schien über irgend etwas erregt zu sein. »Ivan! Ivan Igorevitsch!«
    Er wandte sich dem Mann zu. Schtschek hatte ihn eine Zeitlang angestarrt. Jetzt war er sicher, daß es sich um den Sohn des Bojaren handelte, den sie den Narren nannten. Schtschek war so aufgeregt, daß er sogar seine gefesselten Hände und seine fatale Lage vergaß: Er sollte verkauft werden.
    Nach russischem Recht hätte Schtschek nicht hier sein dürfen. Ein zakup, der seine Schulden abarbeitete, konnte nicht wie ein gewöhnlicher Sklave verkauft werden. Doch dieses Gesetz wurde häufig übertreten, und die Behörden drückten seit langem ein Auge zu.
    Schtschek hätte diese Entwicklung voraussehen können. Seit zwei Monaten war es klar, daß der Älteste des nächsten Dorfes sich zu Schtscheks Frau hingezogen fühlte – und sie sich zu ihm. Und dennoch hätte Schtschek nicht mit einer solchen Konsequenz gerechnet.
    Eine Woche zuvor war der Älteste mit einigen Kaufleuten frühmorgens erschienen und hatte ihn buchstäblich aus dem Bett gezerrt. »Hier ist ein zakup«, erklärte der Älteste kurz und bündig. »Ihr könnt ihn haben.« Ehe Schtschek etwas hätte unternehmen können, befand er sich schon auf dem Boot in Richtung Perejaslavl. Fünf der Sklaven an der Anlegestelle waren Schuldner wie er. Innerhalb der nächsten zehn Jahre hätte er seine Schulden abgegolten und wäre ein freier Mann gewesen. Der Honig im Wald war sein Geheimnis. Seit er diesen verborgenen Schatz entdeckt hatte, nutzte er ihn stillschweigend, indem er an durchreisende Kaufleute eine oder zwei Waben verkaufte, oder er brachte sie auch nach Perejaslavl. Er mußte dabei sehr umsichtig vorgehen, denn er hatte kein Recht an diesen Bäumen. Durch die gelegentlichen Verkäufe hatte er bereits zwei Silbergrivna beiseite belegt.
    Und nun kam dieser junge Edelmann langsam auf ihn zu. »Ich bin Schtschek«, schrie er, »erinnerst du dich?« Wie armselig und krank Ivanuschka aussah! Trotz der eigenen miserablen Lage fühlte der Mann Mitleid mit dem Jungen. Und während dieser geistesabwesend vor ihm stand, erzählte Schtschek seine Geschichte.
    Als er geendet hatte, starrte Ivan vor sich auf den Boden. »Auch ich habe nichts mehr«, murmelte er. »Sage, wieviel du noch schuldig bist.«
    »Heute schulde ich dem Fürsten sieben Silbergrivna.«
    »Und danach wärest du frei?«
    »Natürlich.«
    Langsam löste Ivanuschka den Lederbeutel vom Gürtel und befestigte ihn an Schtscheks Gürtel. »Nimm«, sagte er, »es sind acht grivna. Ich habe keine Verwendung dafür.« Und ehe der überraschte Bauer ein Wort sagen konnte, war Ivan verschwunden. Warum soll mein Geld nicht einem anderen nutzen, dachte Ivan, da ich mich ohnehin von dieser Welt verabschieden will?
    Der Aufseher über die Sklaven war kein schlechter Kerl, und als er kurz darauf von der Bude zurückkam, wo er etwas getrunken hatte, freute er sich ehrlich über Schtscheks Glück. Er wußte, daß der Mann ein zakup war, und er tat ihm leid in seinem Unglück. »Wir müssen es dem Verwalter des Fürsten auf dem Markt sagen«, meinte er. »Da kommt er schon.«
    Schtschek hatte den großen dunkelhaarigen Edelmann nie vorher gesehen, der sich nun der Anlegestelle näherte. Der Fremde wirkte nervös. Als er Schtscheks Geschichte hörte, blickte er finster zu ihm und wandte sich dann mit frostiger Miene dem Aufseher zu. »Offenbar hat er das Geld gestohlen«, erklärte er barsch.
    »Die anderen Sklaven waren aber doch Zeugen«, versuchte der Aufseher einzulenken.
    Der Edelmann blickte die Sklaven verächtlich an. »Ihr Wort zählt nicht.«
    »Wie soll ich stehlen können, Herr, mit gebundenen Händen?« fragte Schtschek.
    Der edle Herr schien wütend. Es war ihm gleichgültig, ob dieser verschuldete Bauer lebendig oder tot war, aber er hatte gerade einem Kaufmann zwanzig Sklaven zum Kauf angeboten, und nun würde ihm einer fehlen. »Wo ist der Kerl, der dir angeblich das Geld gegeben hat?«
    Schtschek blickte um sich. Ivanuschka war verschwunden. »Nimm seinen Beutel!« befahl der Edelmann dem Aufseher. Da hörte man einen Schrei.
    »Seht nur!« rief ein Sklave. Er deutete aufgeregt zum Flußufer unterhalb der Stadt. In einiger Entfernung kam soeben eine einzelne Gestalt hinter einer

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