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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Tod will ich in allen Wäldern des Landes der Rus gejagt haben. Morgen werde ich dir meine Fallen zeigen«, meinte er heiter.
    Sofort wurde er wieder ernst. »Du bist jetzt hier«, sagte er leise, »und vor dir waren andere hier.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Auch dein Bruder.« Was wollte der Fürst damit sagen? So aufmerksam Ivanuschka ihn auch ansah – Monomachs Ausdruck verriet nichts.
    »Gehe deinen Pflichten besonnen nach«, erklärte er. »Ich beurteile dich nur nach deinen Taten.«
    Die Unterredung war vorüber. Ivanuschka verbeugte sich dankbar. Vladimir wandte sich seinen Höflingen zu. In diesem Augenblick sah Ivanuschka das Mädchen. Sie ging unmittelbar hinter ihrer Herrin. Beide Frauen waren fast überirdisch zart und fein. Er erinnerte sich sofort, daß er sie zwei Jahre zuvor gesehen hatte, als sie mit seinem Vater und dem Hofstaat durch den Wald ritten, während er sich hinter einem Baum versteckte.
    »Wer ist das?« fragte er einen Edelmann.
    »Weißt du das nicht? Die ältere ist Monomachs Gemahlin. Die andere ist ihre Zofe.«
    »Woher kommen sie?«
    »Aus England. Gytha ist die Tochter des angelsächsischen Königs Harold, den die Normannen vor zehn Jahren bei Hastings töteten. Das Mädchen heißt Emma. Sie ist eine Waise, Tochter eines Edelmannes, die die Fürstin mitgebracht hat. Sie ist übrigens noch nicht verlobt.«
    Ivanuschka wußte, daß in dem schrecklichen Jahr des roten Kometen viele Exilanten aus England gekommen waren, nachdem es von Wilhelm mit seinen Normannen erobert worden war. Angelsächsische Krieger waren bis nach Konstantinopel gereist und der Elitetruppe der Nordländer im Dienst des Kaisers beigetreten. Andere waren nach Osteuropa gezogen. Diese Fürstin und ihre Begleiterin waren auf verschlungenen Wegen nach Kiev gelangt, und so hatte sich die Linie des angelsächsischen Königshauses von England mit dem Herrscherhaus der Rus verbunden.
    An einem strahlenden Morgen fünf Tage später versammelte Igor nach seinem Gebet die Söhne beim Frühstück. Er wirkte heiter. »Ich habe beschlossen«, verkündete er, »daß euch von nun an das Einkommen von Edelleuten zusteht.« Einige der bedeutendsten Bojaren von Kiev unterhielten sogar einen eigenen kleinen Hofstaat. Die Familienehre schrieb vor, daß Igors Söhne zumindest einen angenehmen Lebensstil haben sollten. »Du, Svjatopolk, hast bereits deinen Haushalt. Ivanuschka, du wirst sicher auch bald heiraten und einen Haushalt brauchen.« Er schwieg eine Weile nachdenklich. »Aus diesen Gründen habe ich folgende Entscheidung getroffen: Von den Einkünften aus den Ländereien, die mir der Fürst gegeben hat, behalte ich die Hälfte für mich. Die andere Hälfte ist für euch bestimmt.« Er seufzte. »Eigentlich sollte natürlich der größere Teil an Svjatopolk und der kleinere an Ivanuschka gehen. Da Svjatopolk jedoch ein gutes Einkommen vom Fürsten Vladimir hat, während Ivanuschka fast nichts erhält, und da die Beträge, die ihr von mir bekommt, begrenzt sind, teile ich euch beiden gleich viel zu.«
    Ivanuschka konnte sein Glück kaum fassen. Svjatopolk schwieg zuerst, dann sprach er mit eisiger Stimme: »Ich danke dir, mein Vater, und ich beuge mich deinem Willen. Ich habe meinem Fürsten gedient, und ich habe dieser Familie gedient. Aber ist es recht, so frage ich, daß Ivanuschka, der nichts als Unehre über uns gebracht hat und dessen Schulden wir gerade bezahlt haben, genau das gleiche erhalten soll wie ich?«
    Igor antwortete nicht. Ivanuschka kam der Gedanke, daß ihn die gleichen Vorstellungen gequält haben mochten. Er senkte den Kopf: Svjatopolk sprach wohl die Wahrheit. Er, Ivan, verdiente das nicht. Er konnte den Zorn seines älteren Bruders verstehen. »Ich habe es so entschieden«, sagte Igor kurz, und damit war das Gespräch beendet.
    Beim Hinausgehen warf Svjatopolk seinem Bruder nur einen einzigen haßerfüllten Blick zu. Er bedeutete tödliche Feindschaft.
    Am nächsten Tag saß Ivanuschka an der Ecke des Marktplatzes und dachte nach. Das Gespräch vom Vortag und Svjatopolks Blick hatten ihm einen Schock versetzt. Haßt er mich nur wegen des Geldes so sehr? überlegte er. Was nutzt mir das Vermögen, wenn es Haß in der Familie erzeugt? Lieber verzichte ich darauf. Svajatopolk soll es haben. Gott wird schon für alles sorgen. Zufrieden mit dieser vernünftigen Entscheidung überquerte er den Marktplatz. Da fühlte er sich am Ärmel gezupft. Ein stämmiger Bauer stand neben ihm und grinste ihn breit

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