Russka
neuer Bedeutung verholfen. Im Vergleich zu Kiev natürlich hatte es nur wenige schöne Kirchen, und die meisten Gebäude bestanden aus Holz. Doch die solide massive Festungsstadt stellte eine Macht dar, mit der man zu rechnen hatte.
Eines Tages brachte Igor wundervolle Nachrichten mit. »Ich habe es geschafft«, berichtete er stolz seiner Frau. »Fürst Vsevolod steht mir so nah, daß ich eine Stelle für Ivanuschka erbitten kann.« Seinem Sohn teilte er freudestrahlend mit: »Du wirst nun endlich dem jungen Fürsten Vladimir zur Seite sein. Svjatopolk ist in seiner druzina und hat sich bewährt. Jetzt ist es an dir, dich zu beweisen.« Ivanuschka war selig. Zwei Tage danach bemerkte sein Vater so nebenbei: »Als du krank warst, haben dein Bruder und ich übrigens deine Gläubiger bezahlt. Dein Name ist wieder makellos.«
Ivanuschka nahm an, es gehe dabei um Zyhdovyn und zwei andere. Er bedankte sich bei seinem Vater und vergaß die Angelegenheit. Als jedoch am nächsten Tag seine Mutter eine zögernde Bemerkung über die Schulden machte, verlangte er die Aufstellung zu sehen.
An erster Stelle standen seine Schulden bei Zyhdovyn. Das war in Ordnung. Doch die folgenden Namen ließen ihm den Atem stocken. Menschen, die er nie gesehen, in Städten, die er vielleicht einmal besucht hatte, behaupteten, er habe sie bestohlen oder sie hätten ihm Geld geliehen. Bis auf zwei Fälle waren alle Angaben unwahr. »Wer hat diese Gläubiger ausfindig gemacht?« fragte er. »Svjatopolk«, war die Antwort des Vaters.
Sein Bruder hatte ganze Arbeit geleistet, und zwar in allen Städten des Landes der Rus. Die Beträge waren nicht hoch – Svjatopolk war klug vorgegangen. Aber die Zahl der Gläubiger war beachtlich. »Du schuldest deinem Bruder großen Dank«, erklärte Igor ernst. »Er hat darauf bestanden, die Hälfte deiner Schulden selbst zu bezahlen.«
»Er fühlt sich für dich verantwortlich«, fügte die Mutter hinzu. Ivanuschka begriff. Seine Erfahrungen hatten ihn weiser gemacht. »Ich fürchte, daß viele Leute meinen Bruder hintergangen haben«, bemerkte er traurig. Als er jedoch sah, daß man ihm nicht glaubte, schwieg er still.
Am nächsten Tag wurde Ivanuschka endlich dem jungen Fürsten vorgestellt, der wegen seiner griechischen Mutter aus fürstlichem Geblüt Vladimir Monomach genannt wurde. Es war in der langen hohen Halle des Fürstenpalastes. Die kleinen Fenster waren hoch in die dicken Wände eingelassen, so daß man sich in einer Kirche glaubte. Der junge Fürst stand am einen Ende der Halle, als Ivanuschka mit seinem Vater eintrat. Ihm zur Seite hatte sich in respektvollem Abstand ein halbes Dutzend Edelleute postiert. Vladimir trug ein mit Zobel verbrämtes, juwelenbesetztes langes Gewand. Auf seinem Kopf saß eine mit Hermelin verzierte Kappe. Von der Mutter hatte er zweifellos das hübsche Gesicht mit der langen geraden Nase und die großen dunklen Augen geerbt. Vater und Sohn machten eine tiefe Verbeugung, gingen ein paar Schritte nach vorn, verbeugten sich erneut. Schließlich kniete Ivanuschka vor dem jungen Fürsten nieder und küßte die juwelengeschmückten Schuhe.
»Willkommen, Ivan Igorevitsch«, sagte Vladimir feierlich. Die Höfe im Lande der Rus hatten nichts mit den westeuropäischen Höfen gemeinsam. Die russischen Fürsten versuchten nicht, wie etwa die Herrscher in Böhmen oder Polen, sich dem sorgfältig über Europa geknüpften Feudalnetz einzugliedern; auch waren sie nicht interessiert an europäischen Sitten oder den neuen Ideen galanter Ritterlichkeit. Ihre Vorbilder kamen eher aus dem Osten. So lernten die russischen Fürsten orientalischen Luxus, und sie kopierten die juwelenschwere Etikette des östlichen Herrscherhofes. Monomach war seit frühester Jugend damit vertraut.
Er lächelte verbindlich. »Ich höre, daß du weit gereist bist.« Monomach gab Igor und den übrigen Edelleuten einen Wink, sich zu entfernen, und nahm Ivanuschka beiseite. Er plauderte ein wenig, bis er sah, daß Ivanuschkas Nervosität nachließ. Dann erkundigte Vladimir sich nach den Reisen, und Ivanuschka gab bereitwillig Auskunft. Vladimir sah ihn einige Male erstaunt an, schien aber insgesamt zufrieden.
Der junge Fürst war eine beeindruckende Persönlichkeit und sich seiner Verantwortung wohl bewußt. Doch bei einem Thema konnte er seine Rolle vergessen, und sein Gesicht wurde geradezu kindlich, »liebst du die Jagd?« Ivanuschka bejahte.
»Das ist gut.« Vladimir lächelte zufrieden. »Vor meinem
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