Russka
an. »Bist du nicht der Bursche, dem ich zweimal Geld gegeben habe?«
»Stimmt«, antwortete Schtschek fröhlich. »Und darf ich fragen, warum du so traurig dreinschaust, Herr?« Schtschek selber hatte allen Grund, fröhlich zu sein. Nicht nur, daß er seine Freiheit wiedererlangt hatte, er hoffte auch, dank seinem verborgenen Schatz, Geld auf die hohe Kante legen zu können. Er freute sich, dem seltsamen jungen Mann danken zu können. Und da ja schon eine gewisse Verbindung zwischen ihnen bestand und Ivanuschka jetzt mit jemandem reden wollte, erzählte er dem Bauern die ganze Geschichte.
Was für ein guter Kerl dieser Edelmann ist, dachte Schtschek. Er hat ein warmes Herz. Und schließlich verdanke ich ihm meine Freiheit. Als Ivanuschka geendet hatte, wußte der Bauer, was er zu tun hatte. »Gib nicht alles auf, Herr«, riet er ihm. »Dein Vater besitzt das Land um Russka, das arm ist. Ich glaube, ich weiß, wie man es reich machen kann. Gib den Anteil ab, den er vorgeschlagen hat, und bitte deinen Vater nur um den Ort Russka, zusammen mit dem Wald im Norden.«
Ivanuschka nickte. Er mochte Russka gern. Als Svjatopolk an jenem Abend hörte, was sein Bruder ihm und dem Vater zu sagen hatte, wollte er seinen Ohren nicht trauen. »Russka?« fragte Igor. »Du willst nur die Einkünfte aus diesem elenden kleinen Ort? Wovon willst du denn leben?«
»Ich komme schon durch«, meinte Ivanuschka fröhlich.
»Wie du willst«, seufzte Igor. »Gott weiß, was man mit dir anfangen soll.«
Dem Herrn sei Dank, dachte Svjatopolk, mein Bruder ist ein Narr. Lächelnd ging er auf Ivanuschka zu und küßte ihn auf die Wange. Zwei Tage danach überraschte Ivanuschka seinen Vater mit einer kühnen Bitte: »Geh zum Fürsten Vladimir, Vater, und bitte ihn an meiner Statt um die Hand des angelsächsischen Mädchens, der Zofe seiner Gemahlin. Er ist ihr Vormund.« Igor starrte ihn an. Was sollte er nun sagen? Der Junge hatte auf den größten Teil seines Einkommens verzichtet, und er wußte sehr wohl, daß der junge Monomach, der sich wie ein Vater um das angelsächsische Mädchen kümmerte, sie kaum einem mittellosen Mann geben würde. »Mein armer Junge«, antwortete er traurig, »weißt du nicht, daß Svjatopolk gestern um sie angehalten hat?« Ivanuschka blickte nachdenklich. »Frage ihn trotzdem«, sagte er schließlich.
»Nun gut«, erwiderte Igor. Als Ivanuschka gegangen war, seufzte er tief. »Es ist leider nicht zu leugnen – der Junge ist ein Narr.« Die Antwort des Monomach wurde innerhalb von zwei Tagen gegeben. Wie üblich war sie freundlich und vernünftig. »Das Mädchen wird an Weihnachten verlobt. Sie soll dann selbst unter den von mir gutgeheißenen Freiern wählen. Hiermit sind mir die beiden Söhne des Bojaren meines Vaters willkommen. Allerdings«, fügte der Fürst hinzu, »wird jeder Freier abgelehnt, der nicht den Beweis erbringen kann, daß er frei von Schulden ist und ein Einkommen von jährlich dreißig Silbergrivna hat.«
Als Svjatopolk das hörte, war er siegessicher; sein Einkommen betrug über fünfzig grivna – Ivanuschka konnte kaum mehr als zwanzig haben.
Zwei Tage später ritt Ivanuschka, der neue Herr von Russka, in sein Städtchen ein.
Frühling lag in der Luft. Die Kirschblüte wagte einen ersten schüchternen Versuch. Es hatte sich so ergeben, daß Schtschek an diesem Tag an den Fluß gegangen war. Ivanuschka befahl dem Ältesten, mit ihm einen Rundgang durch den Ort zu machen. Die hauptsächliche Einnahme würde erwartungsgemäß der Tribut sein, den jeder Haushalt zu entrichten hatte. Ein Drittel ging an den Fürsten, Ivanuschka konnte zwei Drittel behalten; er mußte jedoch die Ausgaben für das Fort bestreiten. Er konnte zwar brachliegendes Land in der Gegend kultivieren, wenn er Handlanger mieten oder Sklaven kaufen würde, aber das kostete Zeit und Geld, und beides hatte er nicht. Selbst mit etwas Glück sah er keine Möglichkeit, wie sein Einkommen in diesem Jahr zwanzig grivna übersteigen könnte.
Dieser Bauer hat mich sicher zum Narren gehalten, dachte Ivanuschka, als er an jenem Nachmittag zum Fort zurückkehrte. Am nächsten Morgen, als die Sonne noch tief am Himmel stand, entdeckte Ivanuschka mit Schtscheks Hilfe den heimlichen Schatz von Russka.
Den Frühling und Sommer über war Ivanuschka sehr beschäftigt. Er diente Vladimir, wie es verlangt wurde. Weil aber immer ungute Stimmung herrschte, wenn Svjatopolk und Ivanuschka gemeinsam am Hof waren, bedeutete der Fürst dem
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