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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Zusammenhalt gefehlt, den es bei den Roten gab, und vielleicht auch die Entschlossenheit. Nun wurde die letzte Weiße Front zurückgenommen, und die kapitalistischen Alliierten – England, Amerika, Japan, Italien – hatten alles aufgegeben. Und hier lag nun der Kosakenoffizier und lebte noch. Ein hübscher Kerl zwar, aber erledigt.
    Karpenko beobachtete, unter halbgeschlossenen Lidern hervor, wie Ivan näher kam. Es war traurig zu sterben. Vor zwei Jahren hätte er es sich nicht träumen lassen, daß er einmal so kämpfen würde. Doch zu seiner großen Überraschung hatte es ihm eine Art Befriedigung verschafft. Die Schmerzen in seinem Magen brannten nun wie Feuer. Irgendwie kam ihm der junge Rote bekannt vor, aber so etwas spielte jetzt keine Rolle mehr. »Na, Genosse, könntest du mich nicht aus diesem Elend befreien?« meinte er. Ivan tat es, so sanft wie möglich. Er erledigte es mit der letzten Kugel, die ihm geblieben war. Die Revolution hatte gewonnen.

Coda
    1937
    Obwohl es bereits elf Uhr nachts war, fühlte Dimitrij Suvorin sich frisch und voller Elan. Wenn ihm nur noch genügend Zeit blieb! Die Feder glitt rasch übers Papier. Es war ein kurzes Stück, die Suite. Programmusik, inspiriert von russischer Folklore. Kinder und Erwachsene werden sich gleichermaßen daran erfreuen, dachte er. Alles bis auf die Coda war fertig komponiert. Im angrenzenden Zimmer schliefen seine Frau und seine Kinder; ein Junge, der nach seinem Großvater Peter hieß, und ein Mädchen, Marjuschka.
    Die Leute sagten, daß der kleine Junge seinem Vater sehr ähnlich sei. Dimitrij lächelte. An diesem Abend war ihm die Idee gekommen, die Suite dem kleinen Peter zu widmen, und er wußte, daß das von Bedeutung war. Wenn der Junge sie später hörte, würde er vielleicht verstehen. Es war die Antwort auf das furchtbare Geheimnis, das sie miteinander teilten.
    Die Suite hatte ein reizendes Thema. Es war die Geschichte einiger Jäger, die im Wald einem Bären begegnen. Natürlich haben sie Angst vor ihm, aber sie fangen das riesige Tier und führen es in Ketten weg. Unterwegs erblicken sie im Wald den magischen Feuervogel. Einer der Jäger läuft hinter ihm her und versucht, ihm eine Feder zu rauben, doch vergebens. Der schillernde Vogel fliegt davon, wie immer, spottend, unerreichbar. Dimitrij war mit der musikalischen Gestaltung zufrieden; dem Bären war ein langsames, getragenes Thema zugeordnet, eine Melodie, die seinen schwerfälligen Gang imitierte; den Feuervogel charakterisierte eine betörende kleine Weise, die plötzlich in ein leuchtendes Stakkato überwechselte.
    Die Männer bringen den Bären in die Stadt und richten ihn für den Zirkus ab. Die Musik war pathetisch und humorvoll zugleich. Würde das Publikum sie akzeptieren?
    Dimitrij unterbrach seine Arbeit für kurze Zeit. Er blickte hinaus über die Dächer der Nachbarhäuser. Ein fast voller Mond hing hoch im Herbsthimmel. Dimitrij wußte, daß ein paar Meilen entfernt in seinem Arbeitszimmer im Kreml um diese Stunde noch jemand arbeitete.
    Es war erstaunlich, was Stalin alles erreicht hatte – daran gab es keinen Zweifel. In den frühen zwanziger Jahren mußte die Führung nach dem verheerenden Bürgerkrieg wenigstens eine Zeitlang im Zuge der Neuen ökonomischen Politik ein gewisses Maß an Kapitalismus zulassen.
    Dann jedoch setzte Stalin seinen Willen durch: Was Lenin begonnen hatte, würde er vollenden. Die gesamte Landwirtschaft wurde in Staatsgüter und Kollektive verwandelt. Die unabhängigen ukrainischen Bauern wurden massenweise deportiert. Der gewaltige erste Fünfjahresplan für die Industrie wurde in wenig mehr als vier Jahren durchgeführt. Rußland war nun tatsächlich eine industrielle Weltmacht, doch zu welchem Preis! Wie viele Menschen waren verschwunden!
    Rußland hatte sich erhoben wie ein riesiger Bär. Es gab offenbar nichts, was dieser Bär mit seiner enormen Kraft nicht hätte vollbringen können, wenn er entsprechend geführt würde. Dimitrij sehnte sich nach früheren Zeiten. Damals war alles lebendiger gewesen: Schriftsteller wie Bulgakov und Pasternak durften noch sagen, was sie wollten. Eisensteins erstaunliches Filmwerk hatte wie eine Bombe eingeschlagen; die Malerei war die Domäne der Avantgarde gewesen, ehe die gegenwärtige Doktrin des sozialistischen Realismus die gesamte Malerei zu einer tristen Beschreibung idealisierten proletarischen Lebens verpflichtete. »Ich danke Gott, daß man noch keine Möglichkeit entdeckt hat, Musik zu

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