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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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brachten brennende Fackeln. Sie waren dabei, Feuer an eine Seite des Hauses zu legen; offensichtlich wollten sie nicht das Haus niederbrennen, sondern die Bewohner ausräuchern. »Juden!« schrie eine Frau.
    Sogleich wurde der Ruf von der Menge aufgenommen: »Kommt raus, Juden! Wir machen euch fertig!«
    Fast alle Anführer der ausbeuterischen Kartelle waren slawische oder skandinavische Christen. Doch das hatte man nun offenbar vergessen. In der Hitze des Gefechts erinnerte sich die aufgebrachte Menge nur daran, daß auch einige der Kapitalisten Juden waren.
    Ivanuschka entdeckte ein einsames Gesicht am Fenster: Zhydovyn. Er sah verstört aus und schien nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Möglicherweise war der Alte bis auf einige Diener allein im Haus. Ivanuschka trieb sein Pferd durch die Menge. Ärgerliche Rufe ertönten: »Wer ist das denn?«
    »Ein verdammter Edelmann!«
    »Runter mit ihm!«
    Ivanuschka fühlte, wie jemand nach seinen Füßen griff. Ein Speer verfehlte sein Gesicht nur knapp. Doch unerschütterlich bahnte er sich auf seinem Pferd den Weg durch die Menge. Dann wandte er sich um. Die Leute schwiegen abwartend.
    Ein Mann deutete mit einer Pike auf ihn. Wie die meisten trug er einen schmutzigen gefütterten Kittel, darüber einen Ledergürtel. Sein Gesicht war fast völlig bedeckt von einem schwarzen Bart, das Haar fiel ihm auf die Schultern. »Nun, Edelmann, sag uns, was du möchtest, bevor du stirbst«, rief er laut.
    »Ich heiße Ivan Igorevitsch«, antwortete er mit fester Stimme. »Ich diene Vladimir Monomach, den ihr sucht. Und ich habe ihm einen Boten gesandt, in meinem Namen und in eurem, mit der Bitte, schnellstens zum vetsche in Kiev zu kommen.« Leises Gemurmel erhob sich. Man wußte nicht, ob man ihm glauben durfte. Dann kam eine Stimme: »Es stimmt. Ich habe ihn gesehen. Er ist einer von Monomachs Leuten.« Ivanuschka spürte, wie die Welle des Hasses abebbte. »Willkommen, Mann Monomachs«, begrüßte der Mann mit der Pike ihn grimmig. »Was bedeuten dir diese Juden?«
    »Sie stehen unter meinem Schutz. Und unter Monomachs«, fügte Ivan hinzu. »Sie haben nichts Böses getan.« Der Bursche zuckte die Achseln. »Vielleicht nicht.« Er wandte sich der Menge zu und brüllte: »Für Monomach! Wir suchen ein paar andere Juden, die wir kaltmachen.«
    Ivanuschka betrat des Haus. Der alte Chazare war bis auf zwei Dienerinnen allein.
    Am Spätnachmittag, als die Stadt ruhiger wurde, ging er zum Haus Svjatopolks. Es war so, wie er gefürchtet hatte. Das Volk hatte das große Holzhaus am Nachmittag erreicht. Soweit Ivanuschka feststellen konnte, hatte Svjatopolk keinen Versuch gemacht zu entkommen. Die wütende Menge hatte den Bojaren, der für viel erfolgreicher galt, als er war, umgebracht, sein Haus geplündert und niedergebrannt.
    Ivanuschka stand erschüttert vor den verkohlten Resten seines Bruders und sprach ein Gebet. Dann suchte er Schutz im Haus des Chazaren, wie er es schon einmal getan hatte. Seltsam, nach so vielen Jahren wieder in diesem Haus zu sein, bei Kerzenschein beim alten Zhydovyn zu sitzen! Sie sprachen kaum während des Essens. Und der Alte schien über die jüngsten Ereignisse nachzugrübeln. »Natürlich wäre dies alles nicht geschehen, wenn das Land ordentlich regiert würde«, sagte er schließlich. »Die Fürsten der Rus sind Dummköpfe. Keiner hat eine Ahnung, wie ein Reich zu organisieren ist. Sie haben keine richtigen Gesetze, kein System.«
    »Wir haben Gesetze.«
    »Vielleicht. Doch eure Herrscher können keine Ordnung halten. Das kannst du nicht bestreiten.« Ivan zögerte, dies zuzugeben.
    »Wir brauchen nichts als einen weisen, gottesfürchtigen Mann, einen wahren Fürsten, einen strengen Herrscher«, sagte er schließlich. »Gott sei Dank haben wir Monomach.«
    Einige Tage später beugten sich die Fürsten dem vetsche, und dank der Revolution trat einer der größten Monarchen, die Rußland je hatte, sein Amt an: Vladimir Monomach.

Der Tatar
    1237
    Es wehte ein eisigkalter Dezemberwind. Der gelbhäutige Reiter zog den dicken Pelz fester um sich und drückte die Fellmütze tiefer in die breite Stirn.
    Mengu war erst fünfundzwanzig, doch Wind und Wetter, Kämpfe und das harte Leben in der Steppe hatten seine Haut gegerbt und sein Alter schwer bestimmbar gemacht. Zudem hatte vier Jahre zuvor ein Speer sein linkes Auge nur knapp verfehlt und eine klaffende Wunde vom hohen Jochbein über die Seite des Kopfes gerissen und ein Ohr abgeschlagen –

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