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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Wasser.
    Ivanuschka bekam einen Kumanen von hinten zu fassen und tötete ihn mit einem Streich. Die übrigen flohen. Als Ivanuschka ins Wasser blickte, war Svjatopolk bereits ein Stück abgetrieben. Er kämpfte gegen die reißende Strömung und versuchte das Ufer zu erreichen. Vergeblich. Sein Panzerhemd zog ihn in die Tiefe, und er versank.
    Einen Augenblick zögerte Ivanuschka. Das Wasser hier war sehr tief. Sein Kettenhemd würde ihn ebenfalls in die Tiefe ziehen. Soll ich mein Leben riskieren für den Bruder, der mich töten wollte? fragte er sich. Doch dann nahm er den Helm ab und sprang. Er hatte große Mühe, wieder an die Wasseroberfläche zu kommen, um Luft zu holen und wieder zu tauchen. Schließlich fand er Svjatopolk. Sein Gesicht war bereits fahl; er war in Tangfäden verfangen, die sich wie hartnäckige rusalki um ihn geschlungen hatten. Es gelang Ivanuschka dennoch, ihn zu befreien und ans Ufer zu ziehen, wo er ihm das Wasser aus den Lungen preßte.
    Erschöpft lagen die Brüder nebeneinander am Ufer. Eine Zeitlang schwiegen sie. Der Schlachtenlärm war verstummt. »Warum hast du mich gerettet?«
    »Du bist mein Bruder.«
    Ivanuschka spürte, daß Svjatopolk sich die nächste Frage überlegte. »Aber… letzte Nacht. Wußtest du es?«
    »Ja, ich wußte es.«
    Svjatopolk stöhnte auf. »Und jetzt habe ich die Last deiner Vergebung auch noch zu tragen.« Seine Stimme klang unendlich müde.
    »Du vergißt, daß auch ich gesündigt habe«, meinte Ivanuschka ruhig. »Vielleicht mehr als du, als ich auf Wanderschaft und ein Dieb war. Ich kam mittellos zurück, und doch hat mir unser Vater vergeben und mich aufgenommen. Sag mir nur, was dich zu einer solchen Tat getrieben hat?«
    Svjatopolk fühlte, daß er nie mehr würde hassen können. Haß und Elend über Jahre hin hatten ihn ausgelaugt. Nun berichtete er von seiner Lage.
    »Du hättest mich doch nur um Hilfe zu bitten brauchen«, sagte Ivanuschka, nachdem der Bruder geendet hatte. »Welcher Mann möchte das schon!«
    »Du bist zu stolz«, sagte Ivanuschka lächelnd. Und in jenem Sommer, als er endlich am großen Don war, beglich er die Schulden seines Bruders.
    Sie kehrten im Triumph zurück. Doch in den warmen Herbsttagen jenes Jahres gab der weise Ratgeber des großen Monomach den Rus zum erstenmal Anlaß zu der Vermutung, Ivan sei vielleicht doch ein Narr: Er beschloß nämlich, eine Kirche zu bauen. Das war für einen reichen Bojaren an sich nichts Ungewöhnliches. Doch Ivans Kirche sollte aus Stein errichtet werden. Auch diese extravagante Lösung hätte man noch akzeptiert, wäre die Kirche in Perejaslavl oder innerhalb der Festung von Russka erbaut worden. Ivan jedoch entschied sich für eine Stelle außerhalb der Befestigungsmauern auf einer kleinen Anhöhe, von der aus man einen Blick über den Fluß auf das Dorf hatte.
    »Da ich sehe, daß die Menschheit ohne Hilfe verloren ist«, erklärte er, »weihe ich sie der Mutter Gottes, die um Vergebung unserer Sünden bittet.«
    Im Herbst des Jahres 1111 wurde mit dem Bau der kleinen Kirche begonnen, die Raum nur für die Gemeinde bieten sollte. Es war ein bescheidenes Bauwerk. Vier Wände aus Ziegel- und Haustein bildeten in etwa einen Würfel. Über der Mitte erhob sich ein gedrungener achteckiger Tambour mit einer flachen Kuppel, umgeben von einem schmalen Dachrand. Im Innern steckten vier Pfeiler ein Quadrat ab, worauf der Tambour und die Kuppel ruhten. Auf dem Altar standen ein Kreuz und ein siebenarmiger Leuchter wie eine jüdische Menora, zur Linken befand sich der Tisch, auf dem Brot und Wein für die Liturgie vorbereitet wurden. Damit entsprach die Kirche dem byzantinischen Schema – und war doch von einem exzentrischen russischen Bojaren erbaut.
    1113
    In diesem Jahr fand die erste russische Revolution statt – der erste organisierte Aufstand des Volkes gegen die Zunft ausbeuterischer Kaufleute. Und sie war erfolgreich.
    Die Menschen wehrten sich gegen unerträgliche kapitalistische Ausbeutung, gegen weitverbreitete schamlose Korruption, gegen Interessenbündnisse der Besitzenden – und dagegen, daß die Fürsten in all dies verwickelt waren.
    Die allgemeine Spekulation, die auch Svjatopolk in Schulden gestürzt hatte, ging weiter und wurde sogar noch schlimmer. Größter Spekulant war der Fürst von Kiev, der mit zunehmendem Alter keineswegs weiser, sondern immer habgieriger wurde. Überall herrschte Korruption. Verschuldung, häufig zu mörderischen Zinssätzen, war allgemein üblich.

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