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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Ufer, und unmittelbar am Rand des Eises gab ein einzelner Reiter Befehle.
    Der neunjährige Kiy und sein Vater Sawa waren auf dem Heimweg und nahmen gerade die letzte Biegung auf dem zugefrorenen Fluß, als der Vater plötzlich fluchte: »Hol's der Teufel! Ein Überfall der Rumänen!« Er riß an den Zügeln. Der Schlitten schwenkte herum. »Was ist hinter uns los?«
    Kiy blickte sich um. »Auch Soldaten. Sie überqueren den Fluß. Was ist wohl mit Mutter und Yanka?«
    Sawa schlug wie wild mit den Zügeln auf die Mähre ein. Sie rasten auf die Biegung zu. »Gott bewahre, daß sie nicht auch vor uns sind!« murmelte der Bauer. Doch da standen sie vor den mongolischen Kriegern.
    Die Reiter überquerten vor ihnen das Eis. Kiy sah seine Mutter nirgends, doch als Sawa den Schlitten herumriß und auf den Wald zur Rechten losfuhr, schrie der Junge: »Schau, dort ist Yanka! Am Ufer! Sie hat uns gesehen!«
    Das Mädchen lief auf die Mongolen zu. Sie hatte nicht nur die Soldaten gesehen, sondern auch ihre Mutter, die zwischen den Linien der Reiter über das Eis kam. Yanka wollte schreien, doch nur ein Flüstern kam über ihre Lippen. Da entdeckte auch die Mutter ihre Tochter, und das kleine Mädchen fühlte eine ungeheure Erleichterung. Es lief geradewegs auf die Mutter zu, ohne auf den Reiter zu achten, der ihnen im Weg stand. Mengu konnte es kaum erwarten, bis die Belagerungsmaschine in Position gebracht wurde. Er ließ seinen Blick über seine Truppe wandern. Die Umzingelung des Forts war fast geschlossen. Das würde sein großer Tag werden. Mengu fühlte Erregung in sich aufsteigen. Aber was kam denn da für eine Bäuerin auf ihn zu? Es fiel ihm die Geschichte ein, die er einige Monate zuvor gehört hatte. Eine Bäuerin hatte einen jungen Hauptmann angegriffen, als die Stadt Rjazan niedergebrannt wurde, und ihn mit einem Messer getötet. Mengu runzelte ärgerlich die Stirn. Er würde sich seine Karriere nicht von einer russischen Bäuerin zerstören lassen! Die Frau war schon ganz nah. Auf Mengus Schenkeldruck stampfte das Pferd vorwärts, und der Mongole schlitzte der Frau mit seinem Säbel die Brust auf. Sie strauchelte und schlitterte übers Eis. Mengu drehte sich zur Belagerungsmaschine um. »Mama!« Bei diesem Schrei wirbelte Mengu herum. Ein blasses kleines Mädchen kniete neben der Frau, aus deren Wunde Blut spritzte. Die Frau blickte das Kind an, wollte etwas sagen. Einen Augenblick lang vergaß Mengu alles andere. Er sah nur die Gesichter von Mutter und Kind. »Yanka!« Dieser Ruf kam von einem Jungen neben einem Bauern auf einem Schlitten, etwa zweihundert Meter entfernt. Die beiden wußten offenbar nicht, was sie tun sollten angesichts einiger hundert Bogenschützen, die sie in Sekundenschnelle hätten töten können.
    Die Augen der Frau wurden starr. Es war vorbei. Das Eis auf dem Fluß knackte, als der Mongole das kleine Mädchen an einem Arm hochzog. Das Pferd stürmte auf den Schlitten zu, wo der Mann das Kind achtlos zu Boden ließ. Mit einer verächtlichen Handbewegung scheuchte der Mongole die drei weg, und gleich darauf verschwand ihr Schlitten zwischen den Bäumen. Es war nicht Taktik der Mongolen, die Bauern einer eroberten Region zu töten. Die Bauern bebauten das Land, zahlten Tribut und stellten Rekruten. Getötet wurden nur jene, die so töricht waren, sich ihnen zu widersetzen. Mengu machte kehrt. Der Zwischenfall hatte kaum eine Minute gedauert. Die Truppen waren alle an Ort und Stelle. Der Katapult wurde herangeschafft, und ein Mechaniker erwartete Mengus Anweisungen. Mit einem kurzen Nicken erklärte Mengu den Katapult für einsatzbereit.
    Die Bewohner Russkas hatten nie vorher einen solches Gerät gesehen. Es konnte mit einem Stein geladen werden, den vier Männer tragen mußten, und dann schleuderte es ihn mit todbringender Genauigkeit eine Viertelmeile weit. Der erste Stein brachte die Brustwehr über dem Tor zum Einsturz. Der zweite zertrümmerte das Tor. Auf Mengus Befehl stürmten die Mongolen ins Fort. Jede Tür wurde aufgestoßen, jeder Raum, jeder Winkel durchsucht. Alle, Männer, Frauen, Kinder, wurden niedergemetzelt.
    Innerhalb des Forts fanden die Krieger tonnenweise Getreidevorrat, die in Karren aus dem Dorf transportiert wurden. Die Toten ließ man liegen, und Gebäude wie auch die hölzernen Wälle wurden niedergebrannt. Bald darauf stand das ganze Fort in Flammen. Mengu wandte sich an einen Anführer: »Zwanzig Bogenschützen mit Feuerpfeilen umstellen die Kirche«, befahl er.

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