Russka
anzuerkennen.
»Wir ziehen mit«, beschloß Yankas Vater.
Zuerst fuhren sie langsam den Dnjepr hinauf, dann wandten sie sich ostwärts, bis sie nach kurzer Überlandwanderung auf einen kleinen Fluß trafen, der sie zur träge dahinfließenden Oka brachte. Hier befanden sie sich auf dem Territorium des Großfürsten.
Wie angenehm sie nun endlich auf der Oka dahintrieben! Fisch gab es zur Genüge. Endlich vergaß Yanka ihren Kummer um den Bruder und begann wieder zu essen.
Ein allmählicher Wandel in der Vegetation zeichnete sich ab. »Wir erreichen jetzt das Land der alten finnischen Stämme«, erläuterte ihr Anführer, »wie etwa der Mordvinen. Die Orte haben auch finnische Bezeichnungen.« Die Oka selbst war dafür ein Beispiel, ebenso die Städte Rjazan und Murom.
Sawa war sehr angetan von dem Gedanken an diese fernen freien Länder, aber er wußte auch, daß das Siedlerleben sehr hart sein konnte. Daher hatte er den ansehnlichen Geldbetrag, den er bei sich trug, wohl verwahrt. Und vielleicht, wer weiß, konnte er ja noch mehr aus einem Grundbesitzer herausholen, der einen Pächter brauchte. »Wenn wir in Murom sind«, beschloß er, »suche ich den Bojaren Milej. Vielleicht hilft er uns. Wenn nicht, versuchen wir es im Norden.«
Milej war ein großer Mann, stark und schlau. Als acht Jahre zuvor die Nachricht vom Mongolenangriff auf Rjazan flußaufwärts drang, hatte er nicht abgewartet, bis er zum Kampf gerufen wurde. »Der Großfürst von Vladimir wird uns auffordern, mit ihm ins Feld zu ziehen, wenn es um seine Sache geht«, erklärte er. »Aber wird er etwas für uns tun, wenn die Plünderer nach Murom kommen? Nein, bestimmt nicht!«
Und damit hatte er recht. Das kleine Fürstentum Murom lag an der östlichen Kante der R-Schleife. Westlich davon erstreckte sich das weite Gebiet von Suzdal, das der Großfürst von Vladimir beherrschte.
Einst war Murom eine bedeutendere Stadt gewesen, aber nun taten die Fürsten von Murom ohne Murren alles, was der Großfürst von ihnen forderte. Deshalb hatte sich Milej mit seiner Familie heimlich aus dem Staub gemacht, und zwar zu den entferntesten und unbekanntesten seiner Ländereien, wo er klugerweise bis zum folgenden Jahr blieb.
Die große Schleife des R wird von einem hübschen kleinen Fluß, der nach Osten fließt, horizontal in zwei Hälften geteilt: der Kljasma. Zwischen ihr und der Oka lag der Besitz des Bojaren Milej. Seinem Großvater, dem man dieses Stück Land übergeben hatte, gefiel der barbarische finnische Name nicht, und so gab er dem kleinen Fluß und der Siedlung Namen aus der Region im Süden, der er sich verbunden fühlte: Das Flüßchen hieß nun Rus und der Ort Russka.
In jenem Winter, den Milej hier verbrachte, entdeckte er, daß man da wirklich etwas erwirtschaften konnte. Er brauchte nur mehr Leute.
Im nächsten Frühjahr fand er bei seiner Rückkehr nach Murom sein Haus, das außerhalb der Mauern gestanden hatte, niedergebrannt, doch das Versteck mit den Münzen tief unter dem Fußboden war unangetastet.
Fürs erste gab es eine Menge zu tun, denn die Mongolen hatten vieles zerstört. Doch das Dörfchen Russka ging Milej nicht mehr aus dem Sinn. Im Spätsommer des Jahres 1246 standen plötzlich zu seiner Freude zwei Bauern von seinem Besitz im Süden vor ihm.
Bisher hatte er nur drei Familien der Mordvinen in die Siedlung holen können.
Als Yanka nun zu diesem großen Mann mit dem leicht ergrauten Bart und dem breiten Türkengesicht hochsah, entdeckte sie darin große Freundlichkeit. Seine stahlblauen Augen leuchteten. »Ich habe den richtigen Platz für euch«, versprach er. »Das Russka des Nordens.«
»Ich habe aber kein Geld«, log Sawa.
Der Bojar musterte ihn, ließ sich keine Sekunde täuschen. »Ich habe mehr davon, wenn ich dir Land gebe, das du bearbeitest, als daß ich gar nichts bekomme«, war die Antwort. »Du kannst dir ein Haus bauen – die Leute hier werden dir helfen. Mein Verwalter wird dich mit allem Nötigen versorgen. Im Lauf der Zeit zahlst du deine Schulden an mich zurück.«
Er machte auch der anderen Familie ein Angebot. Doch die lehnte ab. »Das Angebot ist gut«, meinte der Reisebegleiter zu Yankas Vater, »aber ich will keinen Grundeigentümer über mir. Komm doch mit uns«, drängte er.
»Nein.« Sawa schüttelte den Kopf. »Wir bleiben lieber hier. Aber viel Glück euch!«
Dieses nördliche Russka war sehr verschieden von dem Dorf im Süden, das sie hinter sich gelassen hatten. Es lag aber, wie die
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