Russka
Die Mongolen umzingelten die Kirche und entzündeten ihre langen, schweren Pfeile, deren dicke, mit Tuch umwickelte Spitzen in Pech getaucht waren. Auf den Feuerbefehl hin krachten die Pfeile durch die schmalen Kirchenfenster. Zuerst stieg Rauch auf, dann schlugen Flammen heraus.
Mengu wartete, ob Menschen herauskämen. Doch obwohl der Feuersturm drinnen die Tür zum Erzittern brachte, blieb sie geschlossen. Schon fiel die kleine Kuppel in sich zusammen und stürzte krachend ins Innere. Niemand kann das überlebt haben, dachte Mengu. Die Hitze war glühend wie in einem Schmelzofen.
Eine Mauer nach der anderen fiel. So war es gut. Falls der General ihn im Fall des Mädchens für zu weich gehalten haben sollte, wollte Mengu ihm nun beweisen, daß er auch hart sein konnte. An jenem Abend fanden ein paar Überlebende, die aus dem Wald gekrochen kamen, anstelle des Forts und der kleinen Kirche nur noch rauchgeschwärzte Ruinen vor.
Der Bericht des Generals an den mächtigen Batu Khan war klar und deutlich: »Er verlor den Kopf, als eine Frau auf ihn zulief. Er hätte seinen Männern Befehl geben sollen, sie niederzumachen. Aber er wartete, bis sie vor ihm stand, dann tötete er sie. Er war nicht auf seine eigentliche Arbeit konzentriert.«
»Und dann?«
»Da war ein kleines Mädchen. Er hob sie auf, warf sie dann wieder auf den Boden.«
»Zeitverschwendung. Und dann?«
»Er stürmte das Fort. Brannte es nieder.«
»Sehr gut. Sonst noch etwas?«
»Er brannte die Kirche nieder.«
»Wurde sie verteidigt?«
»Nein.«
»Das ist schlecht. Der Große Khan respektiert alles Religiöse.«
»Ich glaube nicht, daß er einen kühlen Kopf bewahren kann«, schloß der General.
In jener Nacht änderte der mächtige Batu Khan seine Meinung und schlief nicht mit Mengus Schwester.
In derselben Nacht erinnerte sich Yanka, die sich in dem Unterschlupf, den ihr Vater und der Bruder im Bienenwald vorbereitet hatten, in den Schlaf wiegte, an eine Besonderheit des Mongolen, der ihre Mutter getötet hatte: Er hatte eine häßliche Narbe im Gesicht, und ein Ohr fehlte ihm. Sie würde das nie vergessen, niemals.
1246
Leise glitt das Floß durch den Morgennebel des Augusttages. Noch im letzten Monat waren sie aus Furcht vor Entdeckung nur nachts flußaufwärts gefahren, hatten jedes Dorf auf Patrouillen hin beobachtet. Auf diese Weise hatten sie in drei Monaten an die fünfhundert Meilen zurückgelegt.
Vor Wochen hatten sie das erste Flußnetz verlassen und waren über Land zum nächsten gezogen. Der ausgehöhlte Baumstamm, in dem sie bis dahin gereist waren, war zu schwer zum Tragen. So ließen sie ihn zurück und bauten sich am nächsten Fluß ein Floß. Ihre Stimmung besserte sich. Jetzt konnten sie bei Tag fahren. Aber sie blieben vorsichtig: Yanka, ihr Vater Sawa und einige Begleiter waren auf der Flucht vor den Tataren.
Die Tataren. Noch immer verstanden die meisten Russen nicht so recht die Natur des Reiches, dessen Teil sie gerade geworden waren. Da sie das Wesen und die Bedeutung der mongolischen Elite nicht einzuschätzen vermochten, setzten sie sie gleich mit den unterworfenen Türken, die unter den Mongolen kämpften, und gaben folglich der Horde auch einen türkischen Namen, der sich über die Zeiten hinweg erhalten hat: Tataren. Die Schätzung des mongolischen Kriegsrates traf genau zu: Innerhalb von drei Jahren war Rußland überwältigt worden. Die große Armee, die durch Russka gezogen war, hatte auf dem weiteren Feldzug Perejaslavl vollständig zerstört. In den folgenden zwölf Monaten fiel Tschernigov, Kiev wurde zur Geisterstadt. Das ehemalige Land Rus lag darnieder. Der Einfachheit halber teilten die Mongolen es in zwei Teile auf; der südliche – das Gebiet um Kiev und die südliche Steppe – wurde der mongolischen Herrschaft direkt unterstellt, der nördliche – das Land in der großen R-Schleife und die weiten Wälder dahinter – blieb unter der nominellen Kontrolle der russischen Fürsten. Die regierten seither aber lediglich als Repräsentanten des Großen Khan. Der Großfürst wurde in die Mongolei zitiert, um die Urkunde seiner Gnade entgegenzunehmen: Er verdankte sein Amt nur einer Laune des Khan. Den Fürsten wurde eingeschärft, nie zu vergessen, daß sie nun zu den Mongolen gehörten. Ungehorsam wurde nicht geduldet. Wenn ein waghalsiger Fürst aus dem Südwesten sich vor einem Idol des Großen Khan nicht beugen wollte, wurde er unverzüglich hingerichtet.
Vielleicht wäre ganz Europa zu
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