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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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reiche Viertel neben den hoch aufragenden Mauern des Kreml. Als sie durch die Vorstädte kamen, war schon eine Menge Volkes auf den Straßen. Von überall her klangen Glocken durch den Schnee. Mauern, Türme, die goldenen Kuppeln der Klöster tauchten undeutlich im Schneegestöber auf. Als sie sich der Zitadelle näherten, hörte es allmählich auf zu schneien, und vor ihnen lag die großartige Stadt.
    Boris hielt bei diesem Anblick den Atem an. Die Kavalleristen mit spitzen Helmen oder hohen zylindrischen Pelzmützen ritten stolz auf die Stadttore zu. Ihnen zur Seite marschierte das neue Elitekorps des Zaren, die streltsij – die Strelitzen –, und die Hellebardiers hatten Schwierigkeiten, die begeisterte Menge zurückzuhalten, die aus den Stadttoren strömte. Aus der Stadtmauer wuchsen in regelmäßigen Abständen hohe Türme mit steilen Zeltdächern. Hinter ihnen lag das umschlossene Meer der Holzhäuser, durchsetzt mit Steintürmen und Kuppeln.
    Moskau, die Stadt der Zaren. Bei Ivans Krönung wurde ihm eine Mütze aus Pelz und Gold aufs Haupt gesetzt, von der es hieß, sie habe Monomach gehört, dem größten aller Fürsten in den Tagen der alten Rus. Doch die Autokraten von Moskau gingen weit über das hinaus, was Monomach sich in den vergangenen Tagen von Kiev erträumt hatte. Wenn eine Stadt fiel, wurden die Mitglieder der Fürstenfamilie aufgeteilt und zu Staatsdienern gemacht; die führenden Bojaren wurden in anderen Provinzen angesiedelt. Als der Großvater des jungen Zaren Novgorod übernahm, entfernte er selbst die Glocke, mit der das vetsche zusammengerufen worden war, um zu demonstrieren, daß es mit der Freiheit der Bürger für alle Zeiten vorbei sei.
    Moskau, Stadt der Kirche und des Staates. Nach Meinung vieler Kirchenmänner sollten staatliche und religiöse Obrigkeiten in völligem Einvernehmen miteinander regieren. Das war das byzantinische Ideal des ehemaligen oströmischen Reiches. So war es auch in Moskau. Hatte der junge Zar nicht bereits zwei große Reformprogramme verabschiedet, eins für die Verwaltung und ein zweites für die Kirche? Ivan würde keine Magnaten tolerieren, die das Volk unterdrückten, keinen Klerus, der nachlässig oder unmoralisch in seinen Gewohnheiten war.
    Eine lange Prozession kam von den Stadttoren her. Der Klerus, vom Metropoliten angeführt, prächtig gewandet, trug Banner und Ikonen zur Begrüßung des Zaren. »Slava – sei gepriesen, Retter der Christenheit!« Auf ihrer Reise von Kazan hatte Boris gehört, daß die Soldaten dem siegreichen Zaren einen neuen Namen gaben: »Groznyj« – der Furchteinflößende, der Ehrfurchtgebietende oder, in ungenauer Übersetzung, der Schreckliche.
    An Boris' Hochzeitstag hatte es bereits geschneit. Ein paar Freunde, die er in diesem Jahr gefunden hatte, holten ihn in dem Häuschen in der Weißen Stadt ab; trotz ihrer gespielten Heiterkeit fühlte er sich sehr einsam. Der triumphale Einzug in Moskau schien weit zurückzuliegen, obwohl es nicht einmal einen Monat her war. Welch ein Tag war das gewesen! Selbst Boris hatte sich wie ein Held gefühlt, als sie durch die Stadttore zum Kreml kamen.
    Boris trank mit den anderen jungen Burschen in den Tavernen. Er fühlte sich als Sieger, wenn er nachts bewundernd um die Zitadelle wanderte. Dann war der riesige Platz nahezu leer. Im Sommer standen hier die Marktbuden, doch im Winter wurde der ganze Markt hinunter auf den zugefrorenen Fluß verlegt. Neben der weiten Fläche erhoben sich die unüberwindlichen Mauern der Festung mit den hohen Türmen. Irgendwo dort drinnen wohnte der Zar. Eines Tages, dachte Boris, wird man mich hineinrufen. Seine Hochstimmung hielt an, bis er in das Viertel östlich des Kreml gelangte. Das war der kitajgorod, der von einer Mauer umgebene Stadtteil, in dem der hohe Adel und die reichsten Kaufleute wohnten. Hier bestanden die großen Häuser nicht nur aus Holz, sondern auch aus Stein. Die hohen Herren feierten gerade. Sein zukünftiger Schwiegervater war wohl auch dort drinnen. Er lebte zwar nicht da, er hatte ein gediegenes Holzhaus in der Weißen Stadt, doch er war zu den Festen der mächtigen Männer in diesem vornehmen Viertel geladen. Dies erinnerte Boris schmerzlich an das Hauptproblem seines Lebens. Er war nicht vermögend.
    Der Schwiegervater, Dmitrij Ivanov, hatte deutlich gemacht, daß er Boris seine dritte Tochter nur aus jahrelanger Freundschaft mit Boris' Vater gebe. Es war nicht so, daß Boris eine großartige Partie machte, doch etwas

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