Russka
Besseres hatte sein Vater für ihn nicht einfädeln können.
Für Dmitrij war es zweifellos ein Opfer. Der Besitz dreier hübscher Töchter stellte für den Adligen ein Kapital dar. Sie wurden zunächst in der Abgeschiedenheit der Frauengemächer oben im Haus gehalten, und später ließen sich Heiraten zum Nutzen der Familie arrangieren. Der junge Boris hatte außer seiner annehmbaren Herkunft nichts, so fiel die Mitgift recht bescheiden aus. Was seine Gefühle für Elena anlangte, war Boris nervös und unsicher. Sein Vater hatte die Verlobung schon lange davor abgesprochen, und als Boris vor dem Kazan-Feldzug nach Moskau kam, hatte er sie erstmals gesehen. Er kam eines Morgens in das große Holzhaus. Man bot ihm Brot und Salz an, und er ging, wie es sich gehörte, zu den Ikonen in der roten Ecke, verbeugte sich dreimal und murmelte: »Habe Erbarmen, Herr.« Als er sich auf die orthodoxe Art bekreuzigte, traten Vater und Tochter ein. Dmitrij war klein, dick und glatzköpfig, in seinem breiten Gesicht standen die Augen nah beieinander. Sein voller roter Bart reichte bis auf den vorgewölbten Bauch. Er trug einen leuchtendblauen, golddurchwirkten Kaftan.
Elena trug ein langes besticktes rosarotes Kleid. Ihr goldenes Haar hing in einem Zopf auf dem Rücken. Auf dem Kopf trug sie ein einfaches Diadem und über dem Gesicht einen Schleier. Mit einem leisen Seufzen riß Dmitrij den Schleier weg, und Boris starrte seine zukünftige Frau an.
Sie hatte kaum Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Ihre blauen, leicht mandelförmigen Augen standen nah beieinander; das war der einzige Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit diesem kleinen, gefühllos aussehenden Mann. Die Flügel ihrer schmalen Nase über dem eher vollen Mund bebten nervös. Sie war blaß und wirkte angespannt. Sie hat Angst, ich könnte sie nicht lieben, war Boris' erster Eindruck. Das weckte ein Gefühl von Zärtlichkeit und Ritterlichkeit in ihm. Sie weiß nicht, daß sie schön ist, stellte er weiterhin fest. Auch das war gut. Und während er sie so betrachtete, wurde ihm klar: Er begehrte sie. Er begehrte sie mit jener Leidenschaft, die besagt: Du gehörst mir, und ich kann dir nach Lust und Laune befehlen. Durch mich wirst du noch schöner werden.
Er lächelte sie an – aber Elena blickte zu Boden. Diese Kleinigkeit war der Grund für seine Unsicherheit am Hochzeitstag. Und was war das für ein Ausdruck gewesen, der über ihr ängstliches Gesicht huschte? Enttäuschung oder gar Widerwillen? Aber wenn sie ihn wirklich nicht leiden konnte, hätte sie das nicht ihrem Vater gesagt? In diesem Fall hätte Boris ihn von seinem Versprechen entbunden. Oder hatte sie aus Höflichkeit geschwiegen? Während ihrer seltenen Begegnungen vor der Hochzeit hatte er sie immer wieder gebeten, es ihm zu sagen, wenn sie unglücklich sei, doch sie hatte versichert, alles sei in Ordnung.
Alles ist gut, beruhigte sich Boris, als sie nebeneinander vor den Priestern standen.
Es war eine lange russische Messe. Die feinen gedrehten Wachskerzen auf den hohen, mit Marderfellen geschmückten Wandleuchtern leuchteten und füllten den Raum mit Helligkeit. Die Luft war schwer vom Duft des Wachses. Die Priester mit ihren langen Bärten und den schweren, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Gewändern wirkten wie überirdische Wesen, wie sie sich zum Gesang des Chores feierlich bewegten.
Boris sprach das Gelöbnis und reichte den Ring, der nach orthodoxer Art an den Ringfinger der rechten Hand gesteckt wurde. Der bewegendste Augenblick für Boris kam gegen Ende der Messe, als seine Braut auf die Knie sank, sich vor ihm niederbeugte und seinen Fuß mit der Stirn berührte zum Zeichen ihrer Unterwerfung. Es war eine wirkliche Unterwerfung. Wie alle Frauen der oberen Schichten würde Elena in fast völliger Abgeschiedenheit leben müssen. Dies war Ehrensache für sie beide. Es war auch Ehrensache für die Ehefrau, ihrem Gemahl zu gehorchen. Ungehorsam ihm gegenüber käme dem Ungehorsam eines Soldaten dem Offizier gegenüber gleich.
Manche Männer hielten es für richtig, ihre Frauen zu schlagen, und Boris hatte gehört, daß die Frauen dies sogar für ein Zeichen von Liebe hielten. Tatsächlich gab das berühmte, von einem engen Berater des Zaren verfaßte Hausbuch für das Familienleben, der »Domostroj«, genaue Anweisungen, wie eine Frau ausgepeitscht, jedoch nicht mit einem Stock geschlagen werden solle, und wie der Mann danach liebevoll mit ihr sprechen solle, damit die ehelichen Beziehungen
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