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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ist das Land des Heiligen Zaren – unerschütterlich.
    In Niznij Novgorod stand das Makarius-Kloster mit seinem großen Markt. Boris ging durch die Straßen und freute sich, wieder zu Hause zu sein.
    Die zurückkehrende Armee wurde von der Bevölkerung begeistert empfangen. Die Tataren hatten sich so oft in ihre Angelegenheiten gemischt in der Vergangenheit, und außerdem war die Stadt Kazan ihre Rivalin im Osthandel.
    Am Nachmittag, als der Arbeitstag zu Ende war, traf Boris die junge Frau. Sie stand vor einem langgestreckten hölzernen Gebäude, in dem sich ein öffentliches Badehaus befand. Sie war eine typische Vertreterin ihrer Schicht.
    Während die Frauen der oberen Klassen völlig abgeschieden lebten und ihr Gesicht in der Öffentlichkeit nicht zeigten, stellten sich die Frauen aus dem Volk gern zur Schau.
    Ihr Gesicht war weiß geschminkt, die Lippen knallrot. Ihre mandelförmigen Augen unter den kräftig nachgezogenen Brauen standen weit auseinander. Boris schloß, daß auch Mordvinenblut in ihren Adern floß. Sie trug eine rote Samtkappe, ein langes besticktes Gewand, das sicher teuer gewesen war, und hellrote Schuhe. Sie merkte, daß Boris sie beobachtete, und erwiderte seinen Blick leicht amüsiert. Während er auf sie zutrat, lächelte sie. Da sah er, daß ihre Zähne schwarz waren.
    Dieses Schwärzen der Zähne wurde mit Quecksilber vorgenommen, und Boris hatte gehört, daß die Sitte von den Tataren stammte. Als er das erstemal mit einer solchen Frau ausgegangen war, hatten ihn die schwarzen Zähne abgestoßen. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt.
    Sie blieben kurz an einem Getränkestand stehen, wo Wodka ausgeschenkt wurde. Es war ursprünglich kein russisches Getränk, sondern im vergangenen Jahrhundert aus dem Westen über Polen nach Rußland gekommen. Tatsächlich rührte der Name »Wodka« von der falschen Aussprache der lateinischen Bezeichnung aqua vitae durch die russischen Kaufleute her.
    Boris wurde warm von dem Getränk. Danach nahm sie ihn mit auf ihr Zimmer.
    Ihr Leib fühlte sich glatt und geschmeidig an. Als er bezahlt hatte und gehen wollte, fragte sie, ob er verheiratet sei. Als sie hörte, er sei kurz davor, lachte sie fröhlich. »Sperre sie ein und traue ihr nie«, rief sie ihm nach, als sie sich an der Haustür trennten. Er erschrak, als in diesem Augenblick mehrere Leute aus der Kirche gegenüber kamen. Sie trugen Pelze. Boris erkannte die hohe junge Gestalt in ihrer Mitte sogleich. Ob der fromme Herrscher ihn wohl mit dem Mädchen gesehen hatte? Offensichtlich war es der Fall, denn zuerst blickte er dem Mädchen aufmerksam nach, dann richtete er seinen durchdringenden Blick auf Boris. Der hielt den Atem an. Ivan lachte nur, ein hartes Lachen, ehe er sich mit seinen Freunden entfernte.
    Boris konnte nur hoffen, daß diese Begegnung die Meinung des Herrschers über ihn nicht geändert hatte und damit seine Pläne durchkreuzte.
    Zwei Tage bevor der Oktober zu Ende ging, erreichten sie die große Stadt Moskau. Sie waren von Niznij Novgorod durch das Herzland von Muscovia gekommen, zuerst in die alte Stadt Vladimir, wo sie erfuhren, daß Zar Ivan einen Sohn bekommen hatte. Dann hatte Ivan eine größere Gruppe von Leuten zuerst ins nahe gelegene Suzdal geführt und weiter in das berühmte Dreifaltigkeits-Sergios-Kloster, vierzig Meilen von der Hauptstadt entfernt, damit Gott der gebührende Dank abgestattet werde.
    Während Boris dem Zaren folgte, in die Städte, tief in Rußlands Wälder hinein und über Grasland, dachte er, daß er nun Gottes Absicht und das Schicksal des jungen Zaren klarer vor sich sehe als zuvor. Die endlose Steppe, dachte er, wird endlich von Rußlands starkem Herzen erfüllt werden.
    Es schneite ganz fein, als sie Moskau erreichten, die Flocken tanzten leicht durch die Luft. Die Stadt lag am Zusammenfluß von Moskwa und Jausa. Boris war überwältigt von ihrer Größe. Moskau war damals eine der größten Städte Europas – so groß wie das ausgedehnte London oder das mächtige Mailand. Die Vorstädte zogen sich weit hinaus in die umgebenden Dörfer, daß es schwierig war, zu unterscheiden, wo die eigentliche Stadt anfing. Zuerst begegnete man den festungsähnlichen Klöstern, den äußeren Vorstädten mit Gewerbebetrieben, Obstpflanzungen und Gärten. Dann kam man zu dem schützenden Wall, der sich um die Erdstadt schloß, wo das niedere Volk lebte; nun die gemauerten Wände der Weißen Stadt, die Gegend der Mittelklasse. Endlich der kitajgorod, das

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