Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
gebracht wurden. Es gab alle Arten von Waren: Getreide, Fisch, vor allem aber Felle über Felle in unvorstellbarer Vielfalt – Zobel, Hermelin, Biber, Bären.
    Es war eine lange Reise nach Moskau, und mit jeder Meile entfernten sie sich weiter vom Meer. Dies ist das größte Land der Welt, dachte Wilson. Diese Menschen in ihrer riesigen, abgekapselten Welt aus Wäldern und Schnee sind anders als wir, eine Rasse für sich.
    »Das sind rauhe Barbaren«, war Chancellors Meinung. Trotzdem wurden sie in Moskau herzlich empfangen. Gleich nach ihrer Ankunft wurden sie vor den Zaren gerufen. Wilsons Knie zitterten. Er hatte gehört, daß alle Menschen Sklaven des Zaren seien; nun begriff er den Sinn dieser Worte. Ivan stand am Ende einer großen Halle im Palast des Kreml. Ihm zur Seite hatten sich die Bojaren, gekleidet in schwere, kostbare Kaftane, formiert. Wie groß Ivan war, größer noch durch den hohen pelzbesetzten Hut! Ein blasses, habichtartiges Gesicht; ein kalter, durchdringender Blick. Die Engländer wurden von großer Scheu ergriffen. Das war ganz in Ivans Sinn, denn er wollte diese Kaufleute aus dem fremden fernen Land beeindrucken. Vielleicht konnten sie ihm von Nutzen sein.
    Er gab sich liebenswürdig. Man übersetzte ihm das in Latein, Griechisch, Deutsch und anderen Sprachen abgefaßte Empfehlungsschreiben. Daraufhin wurden die Fremden zu einem Fest eingeladen.
    Es übertraf alle ihre Vorstellungen. Hundert Gäste saßen an der Tafel. Geschirr und Besteck waren aus purem Gold. Es gab gefüllten Fisch, alle Arten von Braten, exotische Delikatessen wie Elchhirn, Kaviar, Blini. Der Wein wurde in juwelenverzierten Pokalen gereicht. Alles war von verschwenderischer Pracht. Zar Ivan saß in einiger Entfernung von den gewöhnlichen Sterblichen. Das üppige Bankett zog sich über fünf Stunden hin.
    Danach führte man die Fremden durch den fürstlichen Palast. Nein, dieses seltsame mächtige Reich hatte nicht seinesgleichen. Den Palast empfand Wilson als prächtig und stillos zugleich. Die Zimmerfluchten erinnerten ihn an Höhlen. Das Mobiliar war nicht zu vergleichen mit dem der englischen Paläste – sehr schlichte Stühle und Bänke, beschlagene Truhen und riesige Öfen. Diese Einfachheit wurde jedoch mehr als ausgeglichen durch kostbare Orientteppiche und üppige Wandbehänge aus Seidenbrokat. Die englischen Kaufleute hatten die Gunst des Zaren errungen, und sie erkannten sehr bald die großen Möglichkeiten dieses Handelsplatzes, auf den sie durch Zufall gestoßen waren: Moskau mit seinen Märkten war ein grandioser Umschlagplatz. Aus dem Osten kamen auf Wolga und Don Baumwolle, Schafe, Gewürze. Jedes Jahr fanden sich Nogaj-Stämme aus der asiatischen Steppe mit ihren Pferdeherden ein. Novgorod lieferte Eisen, Silber, Salz. Andere Städte schickten Leder, Öl, Getreide, Honig und Wachs. »Die Möglichkeiten sind grenzenlos.« Chancellor war begeistert. Obwohl Rußland reich an Rohstoffen war, stellte es außer Waffen keine Waren her. Auf jeden Fall ist das also ein guter Absatzmarkt für Luxusgüter, dachte Wilson.
    Die Engländer fanden auch sehr bald heraus, daß die stämmigen, kräftigen russischen Kaufleute im Grunde träge waren. »Sie kennen nichts außer ihrem Land«, meinte Wilson zu Chancellor. »Sie sind wie erwartungsvolle Kinder.«
    »Das denke ich auch, aber vergiß nicht, daß zuerst der Zar unser Kunde ist.«
    Sie hatten festgestellt, daß der Zar ein Monopol auf die meisten wichtigen Güter, alkoholische Getränke eingeschlossen, besaß. Ausländische Kaufleute mußten sämtliche Waren zuerst ihm anbieten.
    »Der Zar will auch Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff haben«, erklärte Chancellor, »und er möchte, daß wir Fachkräfte bringen, darunter auch Leute aus dem Bergbau. Das habe ich ihm bereits zugesagt.«
    Wilson machte die Bekanntschaft einiger deutscher Kaufleute, die Aufenthaltserlaubnis in der Stadt hatten. Darunter auch ein Arzt. Warum also wollte der Zar Leute aus dem fernen England, wenn er andere bekommen konnte, die viel näher waren? Einer der Deutschen, der etwas Englisch sprach, erklärte es Wilson. »Vor etwas sechs Jahren wollte ein Deutscher dem Zaren alle möglichen Fachleute bringen. Mit über hundert Männern kam er bis in einen baltischen Hafen. Hätte er sie nach Moskau hereinbringen können, wären sie mit Hilfe des Zaren bestimmt reich geworden.«
    »Und warum kamen sie nicht bis hierher?«
    »Sie wurden aufgehalten. Von den litauisch-livländischen

Weitere Kostenlose Bücher