Ruth
herumlungerte. Etwa zwei Stunden nach
Mitternacht band Cheb sein Pferd an einem Baum fest und näherte sich vorsichtig
dem Platz, auf dem die Leute schliefen. Er ließ sich jedoch nicht sehen, denn
er hoffte, irgendeinen Skandal zu entdecken, den er zu seinem eigenen Vorteil
nutzen könnte. Seine scharfen Augen sahen die Sklavin sofort. Er erkannte sie
und näherte sich ihr, bis er ihre Schultern berühren konnte.
Ada fuhr auf und unterdrückte
einen Schrei der Überraschung. „Wem spionierst du nach?“ flüsterte Cheb.
Ada legte ihren Finger an die
Lippen und führte ihn vom Dreschboden weg, bevor sie sprach:
„Ich habe Boas und Ruth
beobachtet“, erklärte sie. „Sie lag heute nacht unter seinem Mantel.“
Cheb pfiff. „Die Moabiterin ist
schlau. Deinem Herrn wird das nicht gefallen.“
„Ich gehe jetzt zu ihm und sage
ihm, was die Moabiterin getan hat. Wenn er sie vor dem Rat des Ehebruchs
beschuldigt und wir beide schwören, daß wir sie unter Boas’ Mantel liegen
gesehen haben, wird sie gesteinigt werden und Boas vielleicht mit ihr.“ Cheb
schüttelte den Kopf. „Du vergißt eine Sache, Ada. In dieser einen Nacht des
Jahres wird viel vergeben, selbst Ehebruch. Ich habe einen besseren Plan. Er
wird Boas beschäftigen, und gleichzeitig wirst du die Moabiterin loswerden.“
„Woran denkst du?“ fragte sie
begierig.
„Laß uns deinen Herrn
aufsuchen, da es ihn ebenso betrifft. Ich werde dir auf dem Weg berichten.“
Tob schlief, aber Ada machte
keine Umstände und ging zu ihm. Sie packte ihn bei den Schultern und schüttelte
ihn heftig. „Wach auf, Herr“, drang sie auf ihn ein. „Wach auf!“
Der Kaufmann drehte sich um und
schob ihre Hand weg, aber sie schüttelte ihn erneut, und endlich erwachte er.
„Was willst du, Ada?“ fragte er verdrießlich. „Dies ist keine Zeit, um...“
„Ruth und Boas haben die Nacht
unter seinem Mantel auf dem Dreschboden verbracht.“
„Was?“ Tob war jetzt hellwach.
„Was hast du gesagt?“
„Die Moabiterin ging heute
nacht zum Dreschplatz, nachdem der Tanz vorüber war. Sie legte sich unter Boas’
Mantel, und sie haben sich dort die ganze Nacht geliebt.“
„Aber ich habe die Anzahlung
geleistet“, rief Tob entrüstet. „Sie ist mein.“
„Das hätte man nicht geglaubt,
wenn man sie heute nacht gesehen hat.“
„Hast du sie selbst gesehen?“
fragte Tob.
„Mit meinen eigenen Augen. Und
Cheb hier auch.“
Tob sah Cheb erst jetzt.
„Kannst du das beschwören?“ forschte er.
„Wenn du es wünschst“, sagte
Cheb und zuckte die Achseln. „Ich werde die Moabiterin noch heute morgen vor
dem Rat des Ehebruchs beschuldigen“, sagte Tob. „Die Leute werden sie steinigen
und Boas ebenfalls.“
„Dies ist die Nacht des
Worfelns“, erinnerte ihn Ada, „in der die Frauen wählen dürfen und die volle
Strenge des Gesetzes nicht gilt.“
Tob fluchte. „Dann weiß ganz
Betlehem morgen Bescheid. Die ganze Stadt wird über mich lachen.“
„Nicht, wenn du dem Rat
beweisen kannst, daß sie aus einem bestimmten Zweck bei Boas lag“, sagte Cheb
listig.
„Aus welchem Zweck — außer zu
ihrem Vergnügen und um mich zu demütigen?“
„Die Moabiterin war einst im
Dienst des Königs und des Tempels...“
„Das wissen wir bereits.“
„Aber es ist in Betlehem wohl
kaum bekannt, daß Prinz Hedak sie einst zur Frau begehrte.“
„Auch das kannst du
beschwören?“ fragte Tob eifrig. „Vor dem Rat der Ältesten?“
Cheb nickte. „Sie ist
zweifellos eine Spionin, die man ausgeschickt hat, um zwischen dir und Boas
Feindschaft zu stiften, da ihr beide Verwandte ihres Mannes und die wichtigsten
Männer in Juda seid.“
„Du bist ein kluger Kerl,
Cheb“, sagte Tob, geschmeichelt über die Tatsache, daß offenbar auch Moab seine
Bedeutung erkannte. „Boas wird als Narr dastehen, wenn ich enthülle, daß die
moabitische Frau eine Spionin ist.“
„Du wirst unserem Volk einen
großen Dienst erweisen, wenn du sie überführst“, stimmte Cheb bei. „Sie werden
endlich erkennen, wieviel weiser deine Ratschläge sind als die des Boas.“
Tob nickte selbstgefällig und
rieb sich die Hände. Die Angelegenheit ging einem guten Ende entgegen. Er würde
Ruth dafür bestrafen, daß sie einen anderen Mann bevorzugt hatte, und zugleich
einen Sieg über Boas erringen.
17
Der Tag begann gerade zu
dämmern, als Ruth Boas am Rande des Dreschplatzes verließ und rasch den
Olivenhain durchschritt, der zwischen dem Platz und der
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