Ruth
zu, der zwischen
dem Boden und der Stadt lag.
Auch Boas handelte schnell und
holte sie im Schatten außerhalb des Dreschbodens ein. „Ruth! Warum bist du
hier?“
„Laß mich gehen!“ bat sie. „Laß
mich gehen!“
„Warum hast du dich unter
meinen Mantel gelegt?“ fragte er und faßte den Verdacht in Worte, der
augenblicklich in ihm aufstieg. „Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“
„Ja.“
„Wolltest du mich heimlich dazu
bringen, das Gesetz zu brechen, damit ich dich heiraten müßte?“
„Keiner hat uns gesehen“, brach
es aus Ruth hervor, „du bist vor niemandem bloßgestellt.“
„Aber warum?“ fragte er, noch
immer ihren Arm festhaltend. „Warum bist du unter meinen Mantel gekommen,
während ich schlief?“
„Es war Noëmis Idee“, erklärte
Ruth jetzt fast in Tränen. „Laß mich gehen, Boas. Ich werde dich nicht wieder
stören.“
Es gelang ihr, sich von ihm
loszureißen, und sie rannte erneut weg, aber sie war halb blind vor Tränen und
stolperte, bevor sie ein paar Meter gelaufen war.
Boas rannte zu ihr, ergriff
ihre Hände und richtete sie auf. „Ruth!“ In seiner Stimme lag ein neuer Klang,
und sie hob ihr tränennasses Gesicht, um ihn anzusehen.
„Ja, Boas?“
„Selbst wenn du mich überlistet
hättest, Ruth“, sagte er, „ich würde dich dennoch haben wollen, für immer.“
Sie sah ihn mit großen Augen
an. „Selbst wenn du dächtest, was — was du gedacht haben mußt, als du mich
unter deinem Mantel gefunden hast?“
„Ganz gleich, was du getan hast
oder ich gedacht habe — ich will dich zur Frau.“
„O Boas, Boas“, flüsterte sie.
Dann gingen sie Hand in Hand zu der Stelle neben dem Dreschboden zurück, wo er
seinen Mantel gelassen hatte.
„Ich weiß noch, Ruth, wie du
mir an der Zufluchtsstätte, als wir uns zum ersten Mal trafen, gesagt hast, daß
ich eines Tages eine Frau finden müsse, die ich so liebte, daß ich ihr immer
vertrauen könnte.“
Sie setzten sich am Rand des
Dreschbodens nieder, den Rücken gegen einen Baum gelehnt und den Mantel über
sich gelegt, glücklich, endlich zusammenzusein.
„Laß mich noch einmal erklären,
warum ich heute nach gekommen bin“, sagte Ruth.
„Du brauchst es mir nicht zu
erklären, Ruth, es genügt mir, daß du hier bist.“
„Aber ich möchte, daß du alles
weißt, Boas. Ich mußte Noëmi versprechen, unter deinen Mantel zu kriechen,
während du schliefst.“
„Ich werde ihr morgen von
ganzem Herzen dafür danken.“
„Sie sagte, wenn ich die Nacht
unter deinem Mantel verbrächte, würdest du Tob dazu bringen, mich aufzugeben.“
„Ich werde morgen mit Tob
sprechen. Er muß mir seinen Schuh übergeben. Was für ein Narr war ich doch, daß
ich es nicht schon früher getan habe.“
„Er wird um den Preis
feilschen“, warnte sie.
Boas lachte. „Und wenn er mich
zum Bettler macht, ich werde ihn bezahlen. Nach der heutigen Nacht wirst du
mich nie wieder verlassen, Ruth. Ich schwöre es.“ Er hielt sie eng an sich
gedrückt. „Wann wußtest du zum ersten Mal, daß du mich liebtest?“
„Ich glaube, es war, als du in
Joskos Namen über den Morgenstern sprachst.“
„Meine Liebe muß an jenem
Morgen begonnen haben, als wir uns im Feld beim Sternenlicht getroffen haben,
und ich wußte, daß ich dich kannte, konnte aber dein Gesicht nicht sehen. Ich
weiß, daß ich seit jenem Tag nicht mehr derselbe gewesen bin.“
„Was werden wir jetzt tun,
Boas?“
„Wir werden miteinander die
Nacht hier abwarten, wo wir uns gefunden haben“, sagte er entschieden. „Keiner
von uns kann sich mit einer gestohlenen Liebe begnügen. Wenn der Tag anbricht,
lasse ich dich nach Hause zurückkehren, während ich zum Tor gehe und die
Ältesten als Zeugen aufrufe. Tob wird mir noch am heutigen Tag seinen Schuh
überreichen, und wir werden heiraten.“
Sie erzählten sich immer wieder
die Geschichte ihrer Liebe und waren so ineinander versunken, daß weder Ruth
noch Boas bemerkte, wie Ada, Tobs Konkubine, die aus Betlehem zurückgeschlichen
war, in der Dunkelheit hinter ihnen kauerte und mit einem triumphierenden
Lächeln ihren Worten lauschte. Ada hatte verzweifelt nach einem Weg gesucht,
Ruth aus Betlehem zu vertreiben und gleichzeitig ihren Herrn von seinem Heiratswunsch
abzubringen. Jetzt war sie sich ihres Erfolges sicher. Indem Ruth in dieser
Nacht zu Boas gegangen war, hatte sie ihr direkt in ihre Hände gearbeitet.
Auch war Ada nicht die einzige
menschliche Hyäne, die an der Tenne
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