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Ruth

Ruth

Titel: Ruth
Autoren: Frank G. Slaughter
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„Er war mit Elkan weggegangen, um neuen
Wein zu holen, aber als sie zu streiten begannen, eilte er zurück. Er wollte
dir zu Hilfe kommen, als Tob dazwischentrat.“
    Ruth sah hinüber zum
Dreschboden. Es war jetzt nach Mitternacht, und der Tanz war beendet. Männer
und Frauen lagen auf Strohbetten und benutzten Schals, Tücher und die weiten
Mäntel, die die Männer beim Reiten trugen, als Zudecken. Nur eine einzige
Fackel brannte, und auch sie würde bald verlöschen.
    Sie beobachtete, wie ein
Mädchen leise aufstand und sich zu einem der Männer stahl. Schnell hob sie
seinen Mantel hoch und legte sich darunter, und er zog den Mantel über sie.
Ruth sah, wie er das Mädchen in seine Arme nahm und küßte. Gleich darauf tat
eine andere das gleiche und wurde mit derselben Zärtlichkeit empfangen. Die
meisten der älteren Leute waren in die Stadt und zu ihren Lagerstätten
zurückgekehrt, auch Tob und Ada.
    „Es ist nach Mitternacht“,
sagte Noëmi. „Jede Frau wählt den Mann, unter dessen Mantel sie liegen will,
wie es der Brauch in der Nacht nach dem Worfeln ist.“
    Ruth sah hinüber zu Boas, der
im Schatten auf einer Seite des Dreschbodens lag. Die anderen konnten ihn kaum
sehen, er lag ganz allein. Wären Tob und seine Anzahlung nicht gewesen, so
hätte sie in dieser Nacht unter Boas’ Mantel liegen können. Aber nun war alles
verloren, und sie sah keinen Ausweg mehr.
    „Schau, er liegt allein“, sagte
Noëmi leise. „Du mußt jetzt zu ihm gehen.“
    „Aber nach dem, was heute nacht
geschehen ist...“
    „In dieser einen Nacht des
Jahres muß die Frau wählen“, erinnerte sie Noëmi.
    „Aber selbst wenn Boas mich
will, kann er mich nicht heiraten. Das Gesetz stellt sich zwischen uns.“
    „Die Liebe ist dafür bekannt,
daß sie auch über Gesetze triumphiert“, sagte Noëmi praktisch. „Er liebt dich,
und du liebst ihn. Wenigstens diese eine Nacht wird euch gehören, was immer
danach geschehen mag.“
    Die Bedeutung von Noëmis Worten
ließ Ruths Atem stocken. Ihr Gesicht wurde heiß in der Dunkelheit, und ihr Herz
schlug schneller. „Und dann?“ fragte sie flüsternd.
    „Boas ist ein ehrenhafter Mann.
Er würde nicht ruhen, bis er Tob dazu gebracht hätte, ihm den Schuh zu
übergeben. Dann wären all deine Sorgen vorüber.“
    „Aber wenn er mich fragt, was
werde ich sagen?“
    „Laß ihn reden“, riet Noëmi.
„Wenn du erst einmal zu ihm gegangen bist heute nacht, liegen alle
Entscheidungen bei ihm. Er wird sie treffen.“
    Langsam stand Ruth auf. Sie
klammerte sich an Noëmi, als ob sie Kraft für den Schritt suchen wollte, den
sie nun tun würde. Trotz der Menschen um sie herum fühlte sie sich schrecklich
allein, als sie über den Dreschboden schritt und zu Boas ging, der dort im
Schatten lag.
    Im gleichen Augenblick legte
einige Meilen entfernt Cheb die Leiche Josephs an eine gut sichtbare Stelle in
der Nähe der Straße, wo sie am Morgen leicht gefunden werden konnte. Danach
bestieg er sein Pferd und ritt mit einem bösen Lächeln auf den Lippen nach
Betlehem.
     
     
     

16
     
     
    Als Ruth nur noch ein paar
Meter von Boas entfernt war, seufzte er und drehte sich im Schlaf um. Sie blieb
stehen, bereit wegzulaufen, wenn er erwachen sollte, aber er öffnete seine
Augen nicht. Nach einem letzten Zögern trat sie zu ihm.
    Ruth kniete zu Boas’ Füßen
nieder — sie wagte nicht, sich an seine Seite zu legen, wie es die anderen
Frauen bei ihren Erwählten getan hatten — und schlüpfte vorsichtig unter das
Ende des großen Mantels, mit dem er sich zugedeckt hatte. Boas erwachte nicht,
denn es war ein langer, ermüdender Tag gewesen. Ruth lag eine Weile und schaute
hinauf zu den Sternen, dann schlief sie selbst ein.
    Vielleicht eine Stunde später
regte sich Boas und setzte sich auf. Er wußte nicht, was ihn geweckt hatte.
Ruth streckte im Schlaf die Hand aus, um den Mantel, der durch seine Bewegung
verrutscht war, wieder über sich zu ziehen. Überrascht, daß eine Frau zu seinen
Füßen schlief, beugte sich Boas vor, um sie näher anzusehen. Er hoffte — und
wagte doch kaum daran zu glauben — , daß es Ruth sein möchte. „Ruth!“ flüsterte
er. „Ruth!“
    Beim Klang seiner Stimme
erwachte sie. Plötzlich wurde sie sich ihrer Lage bewußt. Ein Gefühl der Scham
erfaßte sie, daß sie Noëmis Argumenten nachgegeben hatte. Ohne ihm zu
antworten, sprang Ruth auf. Bevor Boas ihre Absicht erkannt hatte, rannte sie
schon über das Gras neben dem Dreschboden auf einen Olivenhain
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